Der Mann ist in einem Maße GEBILDET, dass es ein anstrengendes Vergnügen ist, seinen 133 Geschichten zu folgen, die er in "Das Bohren harter Bretter" versammelt hat. Aber er lässt diese Bildung zuweilen auch so weit raushängen, dass man beim Lesen drauf treten kann. Es geht in Alexander Kluges Band um Politik, auch um das, was beim Entwickeln von Politik an Schaum entsteht, und warum Ergebnisse von Politik so sein können, aber auch ganz anders. Und es geht ein wenig auch darum, dass der Autor den Weltweisen gibt: Abgeklärt, durch nichts mehr zu überraschen, wissend eben.
Mal tritt Mussolini auf, der sich scheute, ein hartes Brett zu bohren und prompt wird er verhaftet. Dann wieder rechnet Kluge vor, dass die Kanzlerin aus einem Potential von zwei Milliarden falscher Entscheidungen schöpfen könne, aber, weil eine Aschewolke aus Island sie einen ganzen Tag lang hinderte, sie 600.000 falsche Entscheidungen nicht fällen konnte. Und so wie man sich wundert, woher der Meister denn die Zahlen haben kann, so bewundert man die Chuzpe, mit der er sie in der Luft hält. Ganz selten verliert er bei seiner Jonglage die Contenance, so einmal, als er die Bevölkerung der damals gerade verblichenen DDR als "klageführende Eingeborene" bezeichnet.
Auch wenn er dem Sarrazin attetestiert, er habe "sich nie gescheut, harte Bretter zu bohren", obwohl dessen Brett hartnäckig am eigenen Kopf befestigt war und sein Bohrer zu gern im Fleisch anderer wühlte: In dem von Untergebenen, Ausländern, Missliebigen. Aber wenn er dann jemanden entdeckt und beschreibt wie Henning Tack, der noch 1989 "für die Partei" ein bisher unbekanntes Manuskript vom Marx ersteigert und es jetzt nicht mehr rausrückt, dann glaubt man ein feines Lächeln auf den Lippen Kluges zu lesen: Seht, sagt das Lächeln, so wundersam kann sich Politik entwickeln, so sehr kann subjektives Handeln mit der Geschichte verknüpft sein und doch keinen Einfluss auf den Gang der Dinge ausüben.
Es sind solche Zufälligkeiten, die Kluges Buch durchziehen und sie erscheinen gern als subjektive Momente, die dann doch der Geschichte entscheidende Wendungen geben können. So, wenn er den Leibarzt Hitlers zustimmend zitiert, dem zufolge der Krieg verloren ging, weil die Naziführung rücksichtslos gegen die Befindlichkeit der eigenen Körper handelte. Der ganze Krieg ein Ulk, vom Ulkus ausgelöst? Kluge kann und mag die langen Linien in der Geschichte nicht sehen, verweigert sich der Schnittkante von Zufall und Notwendigkeit, vielleicht, weil von dieser Denkfigur so häufig mechanisch Gebrauch gemacht wurde. Die Haltung des Autors erinnert hier stark an ein besonders dummes Erklärungsmuster der Finanzkrise: Es sei "die Gier" gewesen, die dazu geführt hätte. Als gäbe es kein Profitsystem, das ohne jede Leidenschaft lebensgefährlich wütet.
Im Buch finden sich auch zwei Texte von Reinhard Jirgl, dessen Schreibweise stark an Arno Schmidt erinnert und mit dem Begriff der "moneykürten" Hand des reichen Präsidenten Kennedy einen schönen Schmidtschen Höhepunkt erreicht. Wie Jirgl sich in einen, von der DDR bezahlten Agenten, der die sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen in Wien begleitet, hineindenkt, das ist eine ganz bezaubernde literarische Leistung. Neben Jirgl erfreuen den Leser Miniaturen wie jene vom seltenen Bundestagsabgeordneten, der bewusst als ARBEITER in den Tag gewählt wurde und dann, als längst seine Ruhrgebiets-Industrie untergegangen war, noch elf Wahlkämpfe lang sein Mandat als ARBEITER behauptete. Alexander Kluge hat ein ganzes Buch voll von Gute-Nacht-Geschichten für Erwachsene vorgelegt: Amüsant, voll überraschender Kenntnisse, aber nicht aufregend, so spät am Abend.