Wem denn das alte Leben weggebrochen ist, der muss kein ganzes neues finden. Veronika und Hanns sind so ein Paar, das ein Leben in der DDR hatte. Nicht, dass im neuen Buch der Gerlof die verschwundene DDR schön schimmert, nicht, dass man in "Lokale Erschütterungen" viel vom Leben des Paares im Geisterstaat erfährt, nur das da was war. Vorher, bevor der Mann zur Wutmaschine wurde, zum Schlagzeilenschinder und Schinder seiner selbst. Bevor die Frau mit gewöhnlich blödem Marketing ihr Geld im Westen erzielt und der Osten als ein Wiedergänger auftritt, in kaputten Dörfern und kleinen Städten, in stumpfen Glatzen und dumpfen Kneipen. Vom alten Leben scheint kaum etwas geblieben und das neue ist so kalt, wie nur der Markt sein kann.

Was haben sie noch, Hanns und Veronika, er, mal zwischendurch arbeitslos, sie, umtriebig und von der Sehnsucht nach einem Kind erfüllt, das nicht kommen will, das Monat für Monat von Blutungen, wie von reissenden Bächen fortgeschwemmt wird. Sie haben nicht einmal mehr sich. Bis vor Jahren, so schreibt die Gerlof auf, bis vor Jahren wollte der Hanns noch die Welt retten: "Dann hat die Welt eine Wende gemacht und ist ihm in die Parade gefahren." Veronika wäre schon zufrieden, wenn sie sich selbst retten könnte. Denn irgendwo, ganz hinten im Kopf, da hockt eine Erinnerung, nur schwach von einer löchrigen Amnesie verdeckt, ein schwaches Echo von einem anderen Leben.

Daniel ist die lebende Irritation, der sanfte Daniel, den die Gerlof zwischen schwul und nicht schwul oszillieren lässt, Daniel, der seinen immer wütenden Freund Hanns zuweilen beruhigen kann. Könnte Daniel der Schreiber der freundlichen aber unheimlichen Zettel sein, die Veronika in ihrem Briefkasten findet? Zettel, die auf eine verschwundenes Leben deuten. Auf dem Weg zu einer Wahrheit findet Veronika Martin, einen Polizisten, der ihr mehr wird als nur ein Helfer, sie wird in seinem Bett landen und nicht so recht wissen, was sie dort findet. Wie auch Hanns in ein anderes Bett fallen wird, zeitweilig, und weiß was dort zu finden ist: Ein weiches Fleisch, gut für ein Vergessen, von was auch immer. Nichts wird gut im neuen Osten, der noch viel vom alten in sich trägt, gefirnisst mit dem falschem Glanz des Westens, aufgehübscht wie eine billige Braut.

Im dritten Roman von Kathrin Gerlof scheint die Sprache noch ein wenig härter geworden zu sein, als nutze sie die Wörter wie Nägel, um ihre Inhalte an Wänden zu befestigen. Volkslieder tauchen auf, wie von den Zähnen Veronikas zerbissen, auch mal ein Weihnachtslied, Fragmente aus einer scheinbar heilen Zeit, zur Beruhigung gesummt. Und wenn die Gerlof sich in ihre Figur Hanns verwandelt, dann redet sie auch so: Von Titten und vom Ficken. Dass sie das kann. Und während sie so ihr Können auf den Buchseiten ausbreitet, hofft man, nach Ende des Romans ginge ein Leben weiter, das ein kleines Glück bereit halten würde für die Protagonisten. Wo doch das große - als Hanns noch die Welt retten wollte, diese und die nächste womöglich, wenn denn der Kommunismus eingetreten wäre, oder so - wo doch das große Glück kaum kommen mag.