Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Bertolt Brecht, Dreigroschenoper

Es gibt nichts Gutes
außer: Man tut es.
Erich Kästner, Moral

Wie vieles Köstliche auf Erden sind auch die Romane von den Griechen erfunden worden, vom Schafskäse und der Demokratie ganz zu schweigen. Weshalb wir sie gegenwärtig aus reiner Dankbarkeit mit ein paar hundert Milliarden alimentieren, die allerdings zurückfließen an bedürftige Banken. Das sind sehr faule Gaben, die den Beschenkten ärmer machen.

Die Zeiten der Finanzkrise erträgt man besser mit jenem Humor, den der Kabarettist Werner Finck als die Lust zu lachen definierte, wenn einem zum Heulen ist. Seinen Geistesverwandten Erich Kästner lieben und schätzen unsere LeserInnen als Erfinder der „Gebrauchslyrik“ und klassischen Kinderbuchautor des 20. Jahrhunderts. Aber Kästner hat auch vier Romane für Erwachsene geschrieben, die man zum Beispiel in seinen gesammelten Werken findet.
Jetzt sind sie erstmals in einem Band bei Haffmans erschienen. 800 Seiten Dünndruck, fadengeheftet, im Leineneinband mit Bauchbinde, trotz Globalisierung im deutschen Sprachgebiet produziert und für kleines Geld zu haben – dass es so etwas noch gibt! Wegen der hohen Luftfeuchte dieses Sommers roch das Buch bei der Lektüre tatsächlich nach Buchbinderleim. Gewiss können unsere feinsinnigen LeserInnen die tiefe Rührung des Rezensenten nachfühlen.

Während einer längst vergangenen Weltwirtschafts- und Finanzkrise spielt in Berlin der satirische Roman „Fabian“, erschienen 1931. Der Titel sollte ursprünglich lauten „Der Gang vor die Hunde“, aber der Verlag machte seinerzeit daraus einen nichtssagenden „Fabian“ mit dem feigenblättrigen Untertitel „Die Geschichte eines Moralisten“.
Romane erzählen üblicherweise von Liebe und Reichtum und Armut und Tod. Die psychologisch Interessanten handeln oft vom Verrat der Ideale. Im „Fabian“ spüren die LeserInnen die Nachwehen des Ersten Weltkriegs und realisieren den rasant fortschreitenden materiellen und sittlichen Ruin breiter Volksschichten in der Krise. Es ist die wehmütig witzige Abschilderung der dem Untergang zutaumelnden Weimarer Republik.
Der Roman endet mit einem Gleichnis. In seiner Heimatstadt springt der Moralist in den Fluss, um ein Kind zu retten. Der kleine Junge schwamm heulend ans Ufer. Fabian ertrank. Er konnte leider nicht schwimmen.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten blieb Kästner in Deutschland. Weil ihm Schreibverbot für das Dritte Reich erteilt wurde, produzierte er unpolitischen Lesestoff für das deutschsprachige Ausland. So entstanden die Gesellschaftssatire „Drei Männer im Schnee“ und der Krimi „Die verschwundene Miniatur“ als humoristische Romane, für die bald nach ihrem Erscheinen Metro Goldwyn Mayer die Filmrechte erwarb. Humor gehört nicht unbedingt zu den hervorstechenden deutschen Nationaleigenschaften. Umso erfrischender ist es, die flotten Dialoge und niedlichen Intrigen mit ihren vorhersehbaren Pointen zu genießen, eine ideale Lektüre für reife Menschen an Regentagen.

Der Kurzroman „Der kleine Grenzverkehr“, geschrieben 1937, handelt von den Widrigkeiten der Devisenwirtschaft im Dritten Reich, die auch den Besuch der Salzburger Festspiele für deutsche Staatsbürger zum Problem werden ließen. Die raue Realität ist raffiniert geflochten in eine zarte Liebesgeschichte. Die Machart erinnert stark an Tucholsky. Das Buch, gedacht für den österreichischen Markt, konnte nach dem Anschluss Österreichs nur in der Schweiz erscheinen.

Schließlich wird noch ein Romanfragment präsentiert, „Der Zauberlehrling“. Als solcher figuriert der junge Kunstgelehrte Mintzlaff, dem Zeus inkognito begegnet auf der Reise in das Davos der dreißiger Jahre und seine Götterkräfte spielen lässt. Unsere aufmerksamen LeserInnen vermuten mit Fug und Recht eine Art ironischer Paraphrase von Thomas Manns „Zauberberg“, die der Autor leider nicht zu Ende führte.

Die Kästnersche Prosa ist ungekünstelt amüsant, die Dialoge sind durchweg bühnenreif. Die szenische Substanz von Kästners Romanen lässt sich unter anderem daran festmachen, dass sie alle, zum Teil mehrfach, erfolgreich verfilmt wurden.
In der eingangs erwähnten gediegenen Buchausstattung erschienen bei Haffmans auch Kästners „Sämtliche Gedichte in einem Band“, denen hoffentlich bald die Jugendbücher folgen. Diese Leckerbissen sind erhältlich nur bei Zweitausendeins.