Sie hat Konkurrenz bekommen, die USA: Das ökonomische Gewicht Chinas dürfte inzwischen größer sein als das ihre, Staaten wir Brasilien und Indien stehen nicht mehr als Bittsteller vor der Tür des großen Stiefbruders, selbst die gern konforme EU riskiert zuweilen, temporär, den Konflikt mit dem großen Land. Und doch führt noch kein Weg an den USA vorbei, wenn man die Probleme der Welt, die häufig genug die Probleme in der eigenen Nachbarschaft sind, begreifen will. Erst recht in einer Situation, in der mit Barack Obama ein scheinbar "europäischer" Präsident gewählt wurde, der sich aber auf dem Rückzug befindet: Kaum eines seiner Versprechen - von der Auflösung des Lagers Guantanamo über die vor der Wahl propagierte Steuergerechtigkeit bis zum schnellen Rückzug aus Afghanistan - sind eingelöst. Im Gegenteil: Der in Europa immer noch recht populäre Präsident ist im eigenen Land auf der Flucht vor einer rechtsradikalen Bewegung, neben der Le Pen oder die Lega-Nord waisenknäblich aussehen. In dieser Situation kommt, zum tieferen Verständnis der USA, das Buch von Frank Unger: "DEMOKRATIE UND IMPERIUM - Die Vereinigten Staaten zwischen Fundamentalismus, Liberalismus und Populismus", unbedingt recht.
Wenn Unger die Geschichte sprechen lässt, um die Gegenwart der USA zu erklären, sind ihm so frische Bilder zur Hand wie jenes, das der englische Krimi-Autor Chesterton liefert, der 1921 (!) ein Einreise-Formular für die USA ausfüllen muss: "Ich habe schon am Ostufer des Jordan gestanden . . . " schreibt er, "aber niemand fragte mich, ob ich gekommen sei, um die Macht ihres Herrschers zu unterwandern; und niemand zeigte auch nur das allergeringste Interesse an meinen persönlichen Ansichten über die ethische Grundlage staatlicher Autorität". Die heutigen Anti-Terror-Fragebögen, mit denen die USA Einreisende terrorisiert, mögen ausgefeilter sein, ihre Wurzeln reichen weit zurück. Frank Unger sieht die "Gewissensfragen" im Bild der USA von sich selbst begründet, einer Nation, die sich selbst ein Bekenntnis zum "Amerikanismus" abverlangt, jener diffusen Melange von scheinbar moralischen Werten, die wesentlich darin kumulieren, dass die USA das beste aller Länder sei, God´s own Country eben.
Auch wenn der liebe Gott keine unmittelbare Rolle bei der Trennung des jungen Amerika vom englischen Mutterstaat spielte, wollten sich die amerikanischen Gründerväter, anders als jene der französischen Revolution, nicht zu einem ordentlichen Atheismus durchringen. Sie wollten, schreibt Unger "keinerlei Umwälzung der sozialen und politisch-ökonomischen Verfassung". Unabhängigkeit ja, aber der "Pöbel", so George Washington, sollte nicht die Gelegenheit zum Umsturz bekommen. Demokratie und Selbstbestimmung, daran erinnert Unger nachdrücklich, galten zu Beginn weder für die schwarzen Sklaven, noch für die Rothäute, deren Land man dringend brauchte. Eigentlich sollte sie wesentlich für eine relativ dünne Schicht agrarischer oder industrieller Patrizier gelten. Das gilt in den den USA, Wahlen hin oder her, wesentlich bis heute.
Der feste Glaube an die "Idee Amerikas", an eine "Frontier"-Ideologie und den Tellerwäscher-Millionär-Selbstbetrug hat auch die Herausbildung von genuin sozialen (linken) Parteien verhindert. Allerdings darf man anmerken, dass auf den Gründungsurkunden amerikanischer Gewerkschaften jede Menge Blutflecken sind: Von den Gewerkschaftern, die von Polizei und privaten Knüppelgarden erschossen oder niedergeprügelt wurden. Frischeres Blut stammt aus der Zeit, in der die Mafia nicht wenige US-Arbeiterorganisationen "übernommen" hatte. Es war zeitweilig lebensgefährlich soziale Organisationen zu bilden. - Bis heute ersetzt die "Idee Amerika" generell Parteien. Denn was uns in Form von Demokraten und Republikanern begegnet, so Unger, ". . . sind nicht und waren niemals Parteien im europäischen Sinne." Unger konstatiert, dass diese losen Verbände nie in der Lage waren, "sich unter Ausnutzung des allgemeinen Wahlrechts als begrenze Gegenmacht zu den ohne Wahl herrschenden Mächten des Privateigentums zu etablieren."
Wenn Frank Unger auf den "Sonderweg" der USA anhebt, dann erinnert er an die starke Rolle der Religion, an die geringe Zahl von Unternehmen in öffentlicher Hand oder den Einsatz der Todesstrafe als öffentlich inszenierten Vergeltungsakt. Allerdings, so Unger " . . . würden die meisten Amerikaner nicht ihr eigenes Land, sondern eher alle anderen als Normabweichler sehen." Die tragikomische Nähe der USA zu ihrem aktuellen Erzfeind, dem Islam, belegt der Autor mit solchen Zahlen: Neun von zehn Amerikaner sagen, sie hätten niemals an der Existenz Gottes gezweifelt, acht von zehn Amerikanern sind davon überzeugt, das Gott auch heute noch auf Erden Wunder bewirkt, und etwa 40 Prozent bezeugen, dass sie mindestens eine persönliche Erfahrung mit Jesus gehabt hatten. Ein Land, das so abergläubisch ist, wird nur schwer zu ändern sein.
The Pursuit of Happyness, das Streben nach Glück, ist bereits in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung festgelegt und gilt bis heute der Verheißung: Sowohl als religiöse Determinante, wie auch als ökonomische Prophetie. Auch deshalb zitiert Unger Alan Greenspan, den langjährigen Chef der US-Notenbank, denn der pflegt den Glauben ". . . dass der Kapitalismus nicht nur effizient und praktisch ist, sondern auch moralisch." Von den vielen Kriegen der USA, den Toten, den Verhungerten darf keine Rede sein, wenn es um die Marktmoral geht. Unger sschließt sein reiches Buch mit dem denkwürdigen Satz: "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom amerikanischen Imperialismus schweigen!" - Bis zu seinem jähen Tod war Frank Unger Autor der RATIONALGALERIE.
Frank Ungers Buch wird am am 19. Januar 2011 um 17.00 Uhr
im John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin vorgestellt
14195 Berlin, Lansstr. 7- 9, U3 Dahlem Dorf
Es diskutieren:
Wolf Dieter Narr, Richard Faber, Thomas Greven und Albert Scharenberg
Moderation:
Margit Mayer