Zwei Schwestern mögen sich nicht. Auch ihre Eltern können sie nicht leiden. Das soll vorkommen. Doch solange es nicht in Elternmord oder Schwesterntod endet, wird daraus kein Drama, kaum ein Roman. Weil Judka Strittmater, die Autorin von "Die Schwestern" das weiß, weil sie aber nun mal gewillt war über diese interfamiliäre Problemlage zu schreiben, hat sie das Thema aufgeladen: Stasi, Stasi rufts aus dem Wald, weil die Schwestern aus dem Osten Deutschlands kommen, und weil es seit 1990 ein bewährtes publizistisches Reinrufen ist, schallt es auch aus diesem Roman-Gebüsch: Stasi!

Ehrlich: Wenn Sie Ihre Schwester nun so gar nicht leiden könnten, und das seit Jahren eher immer weniger, würden Sie dann mit ihr an die Ostsee fahren? Martha Andruschat, die eine der Schwestern, hat anscheinend diesen Hang zur Selbstbeschädigung und will es zum X-ten mal versuchen: Der Schwester sollte doch irgendwann mal was Schwesterliches abzuringen sein, hofft sie, und packt sich und Johanne in ein Auto um in ein, was schreibe ich, in das! Devisen-Hotel an der Ostsee zu fahren. Zwar gibt es jetzt allüberall Devisen, aber die Schwestern erinnern sich noch an die vormalige Exklusivität des Hotels, als allerlei Ausländer dort ihr Wesen trieben, als man dort nur mit echter Westmark buchen konnte und die Zonen-Mädels, so erzählt das Buch, sich noch für den Duft der großen weiten Welt den Exoten aus Mönchengladbach feilboten.

In wohltemperierter Sprache wickelt Judka Strittmater ein elegantes Retro-Programm ab: Mal gilt die Erinnerung dem Plattenbau, dann den ersten Jungs und auch dem berühmten Onkel Kurt, der in der DDR-Zeit ein begehrter Schauspieler war. Wer sich erinnern mag, und der Verlag hilft dazu werbewirksam mit dem Umschlagtext, dass Judka die Enkelin des großen Schriftstellers Erwin Strittmater ist, der erwartet jetzt in der Figur Kurt auf einen Hinweis, auf eine Ähnlichkeit zwischen Kurt und Erwin, um dann flugs enttäuscht zu werden. Auch die Hoffnung darauf, dass sich Sprachmächtigkeit vererbt, wird enttäuscht: Mal hat irgendwas die gespreizte "Beschaffenheit eines Brötchens", dann wird ein simpler Gin Tonic mit "aggressiven Bläschen" aufgeladen oder ein "Computerkasten" stelzt durch den Text, dem jemand "nur widerwillig ihre Freundschaft hat angedeihen lassen".

Die Stasi-Story wird ebenfalls mit einem Satz eingeleitet, den ein ordentlicher Lektor nie und nimmer zugelassen hätte. Während der Schwesternfahrt zum Meer gibt es auf einem Dudel-Sender Nachrichten zu einer Stasi-Enthüllung, ausgerechnet in jenem Hotel, das die Schwestern ansteuern: "Er (der Moderator) sprach jetzt, als hätte ihm jemand einen Gewehrlauf in den Nacken gedrückt". So wird es sein, wer über die Stasi spricht, ist vom Genickschuss nicht mehr weit entfernt, oder? Wäre dieser Stasi-Verarbeitungsstil nicht landesüblich geworden, man könnte drüber lachen. In den Devisenhotels des Ostens, das wußte man, das weiß man, war Spionage so üblich wie in den entsprechenden Bars des Westens. Aber das Nachrichten-Management ist zur Zeit westbeherrscht, also gilt es als Sensation, dass der Direktor des Hotels, in dem die beiden Schwestern ihre Probleme auch nicht werden lösen können, Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes war.

Die von Frau Strittmater aufgewärmte, vorgebliche Sensation, soll dem Roman jene Farbe verleihen, aus der die Fantasie gemacht ist. Doch bleibt die Autorin im Schwarz-Weiß stehen: Stasi böse, Westen gut, und während die Belegschaft des Hotels dem langjährigen Direktor in seiner Lage zur Seite steht, reist Strittmaters Hauptfigur, Martha Andruschat, ab: "Es fühlte sich an, als würde sich etwas Schweres von ihr lösen und sich zeitgleich pulverisieren, so dass nichts zum Betrachten und Hinterfragen mehr übrig blieb."