Unter den Engländern geht eine Legende, dass sie weniger lögen als andere Nationen, oder gar niemals. Alles in allem lügen sie genau soviel wie ihre meisten Nachbarn.
William Lewis Hertslet, Der Treppenwitz der Weltgeschichte
Eine brillante und spaßige Zusammenfassung der deutschen Geschichte findet sich in Gregor von Rezzoris Idiotenführer durch die Deutsche Gesellschaft, vor fast 50 Jahren bei Rowohlt erschienen. Im Band II (Adel) tut er sie auf ein paar Seiten ab („Im Kreuzgalopp entlang der deutschen Geschichtsauffassung“). Jetzt ist die Übersetzung eines in schnoddriger Diktion gehaltenen britischen Remakes herausgekommen, aufgeblasen auf über 450 Seiten, verfasst vom Cheflektor des renommierten Penguin-Verlags.
Simon Winders Einsichten zu Good Old Germany speisen sich aus drei Quellen: erstens den Hollywood-Historienschinken, zweitens dem ausgiebigen Genuss von Richard Wagner-Opern und drittens seinen profunden historischen Kenntnissen, die er sich als Lektor englischer Geschichtsbücher angelesen hat. Außerdem hat der Autor die Bundesrepublik ausgiebig bereist und verwundert sich in jeder aus dem anglo-amerikanischen Bombenhagel wiedererstandenen Altstadt, dass die Deutschen dort keine Filialen von Chikago errichtet haben. Er berichtet von seinem ersten Deutschlandbesuch im Jahr 1991:
Ich war mehrere Tage in Magdeburg und die Wiedervereinigung war damals noch nicht sehr weit vorangeschritten: überall menschenleere stalinistische Plätze, dazu Geschäfte, in denen es nichts als Dosenfleisch zu kaufen gab.
So ist das halt, wenn man auf einem Parkplatz von Aldi steht.
Manchmal unterlaufen Mr. Winder kleinere Ungenauigkeiten, z. B. verwechselt er Kaiser Joseph I. aus dem Hause Habsburg mit Joseph II. (Lothringen-Habsburg). Die Belagerung von Mainz, die Goethe 1793 miterlebte, verlegt der Autor in die Zeit der Napoleonischen Kriege. Aber das sind nur Peanuts, wir können die vielen schrulligen King Georges auch nicht auseinander halten und wissen in den Rosenkriegen nicht Bescheid.
Der mit Abstand meistgenannte deutsche Politiker ist – wen wundert’s – Hitler, immerhin bemerkenswert für eine Geschichte Deutschlands, die nur bis zum Jahr 1932 reicht. Doch Bismarck hat nie einem Briten auch nur ein Haar gekrümmt, während Hitler, sozusagen als Kollateralschaden des Zweiten Weltkriegs, das Empire zum Einsturz brachte.
Übrigens war Hitler von der britischen Weltmachtpolitik im Allgemeinen und der Behandlung der Iren im Besonderen fasziniert. Unity Mitford meinte, er habe viel davon gelernt.
Mr. Winder liebt weitreichende Assoziationen. Das Dritte Reich ist omnipräsent. Immer wieder begegnen wir Sätzen wie diesen:
Daneben betätigte sich Schinkel auch als Maler, und auf seiner Gotischen Kirche auf einem Felsen am Meer (in der Alten Nationalgalerie in Berlin) ist alles versammelt, was das deutsche Mittelalterherz höher schlagen ließ: tapfere Ritter, riesige Banner, ein Schloss, ein Regenbogen, ein alter deutscher Wald, und das alles mit den unglaublichsten Lichteffekten. Es liegen Welten zwischen diesem 1815 gemalten Bild und dem infantilen, obszönen mittelalterlichen Universum eines Heinrich Himmler, dennoch gewährt es – genau wie die Gemälde Caspar David Friedrichs – besorgniserregende, wenn auch unschuldige Ausblicke auf das, was im späteren deutschen Nationalismus so schrecklich aus dem Ruder laufen sollte.
Bedauerlich bleibt, dass Simon Winder auf die Behandlung der jüngsten deutschen Geschichte ab 1933 verzichtet hat. Es wäre eine famose Historie im Stil von „Inglorious Basterds“ geworden, oskarwürdig eben.