Es war beim Leipziger Dokfilmfestival in den 1980er Jahren. Das damals noch riesige Kino "Capitol" fasste den Publikumsandrang zu einem Günter Wallraff-Film schon längst nicht mehr, doch der Festivaldirektor bemühte sich eifrig, einem draußen wartenden, besonders wichtigen Gast trotzdem einen Platz zu verschaffen. Und während ich im Stillen hoffte, im Gefolge dieses Gastes auch noch hineinzukommen, winkte der freundlich ab und meinte: "Das ist doch herrlich, wenn die Kinos so voll sind!" Der Name des Gastes: Prof. Kurt Maetzig, damals 76-jährig und als DEFA-Mitbegründer, Regisseur und ehemaliger Leiter der Babelsberger Filmhochschule eine erste Instanz im DDR-Film. Ein Vierteljahrhundert später, im biblischen Alter von 101 Jahren ist Maetzig in der vergangenen Woche in seinem Haus in Wildkuhl in Mecklenburg gestorben.

Die Szene vor dem "Capitol" scheint typisch für den Querdenker Maetzig, der von sich wenig Aufhebens machte und stets das größere Ganze im Blick hatte – sogar bis an die Grenze der Selbstaufgabe, wovon noch zu reden sein wird. Der Idee, den DEFA-Film mit mehr Action und Spektakel an den internationalen Markt anzupassen, entgegnete er nüchtern: "Wir können nicht noch größere Autos in noch größeren Karambolagen von noch höheren Brücken stürzen lassen als Hollywood". Wenn man dann, als "Wessi" genervt von der Übermacht des Kommerzkinos, gleich nur noch Filme mit hohem künstlerischen Anspruch gelten lassen wollte, belehrte einen der hoch gebildete und welterfahrene Professor freundlich, aber entschieden über den berechtigten Anspruch arbeitender Menschen auf Unterhaltung, der allerdings von Hollywoods „Kino der Überwältigung“ pervertiert werde.

Sein erster Spielfilm "Ehe im Schatten" (1947) bediente diesen Anspruch perfekt: Mehr als 12 Millionen (!) Besucher sahen das Drama um das frei nacherzählte Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner jüdischen Frau, die 1941 gemeinsam aus dem Leben gingen. Ähnlich hohe Besucherzahlen hatten später auch seine beiden großen Thälmann-Filme ("Sohn seiner Klasse" und "Held seiner Klasse" 1954/55) - nicht zuletzt, weil sie zum Pflichtprogramm der Schulen gehörten. "Rote Ohren" bekomme er, wenn er auf diese recht propagandistisch angelegten Filme angesprochen werde, hat er später gesagt und sie wohl auch zu den Irrwegen auf dem Weg zu einem aufklärenden Film gezählt, von denen er "keinen ausgelassen" habe. Als mehrfachen Staatspreisträger und noch während der Naziherrschaft 1944 in Berlin in die KPD eingetretenen Genossen muss ihn das Verbot seines Films "Das Kaninchen bin ich" und einer kompletten DEFA-Jahresproduktion im Gefolge des 11. SED-Plenums 1965 hart getroffen haben. Die geforderte "Selbstkritik" lieferte er dennoch ab, nicht aus opportunistischer Anpassung, sondern in der Hoffnung, damit andere Kollegen schützen zu können - ein Irrtum, über den er erst zum Ende der DDR zu reden bereit war.

Filme hat Maetzig seit seinem "Rentenalter" 1976 nicht mehr gemacht, in Vorträgen und im Weltverband der Filmclubs (FICC), dessen Vize- und später Ehrenpräsident er viele Jahre war, galt sein waches Interesse aber immer noch dem Filmgeschehen in der Welt. 2010 ehrte die Defastiftung ihn im Berliner Babylon-Kino für sein Lebenswerk. "Er hat viele Fenster geöffnet", so Laudator Fred Gehler, "aber seine Visionen von einem aufgeklärten, aufklärenden Film sind nicht anachronistisch." 2005, von Margit Voss nach seiner Lebensbilanz befragt, hatte der 94-jährige erklärt, er sei "vielleicht ein sehr sehr kleines Stück vorangekommen. Aber ich habe das Gefühl, dass den nach mir Kommenden sehr viel zu tun übrig bleibt." Packen wir es an!