"Solange ich denken kann, denke ich auf Deutsch", sagt Fatih Akin zu Beginn seines Buches "Im Clinch" und dann liest man die heftig bebilderte Arbeit und fragt sich, wo denn der Clinch bleibt, außer er meint den mit sich selbst: Da klammert es manchmal ganz schön in seiner Entwicklung, wenn er über die Gangs erzählt, denen er angehörte und hie und da ne Prügelei, aber immer beseelt davon Filme zu machen. Und immer einer, bei dem Herz und Verstand eine Einheit bilden, wie das Deutsche und das Türkische in ihm.
"Es lebe die Bildung" sagt Fatih Akin an anderer Stelle, und er, der sich mit dem Abitur schwer tat, der eigentlich keine Lust auf ein Studium hatte und das Filmemachen lieber im Selbstversuch lernte, blieb dann doch bis zur Diplomprüfung Student, weil er sonst zur Bundeswehr gemusst hätte. Der Untertitel seines Buches, das eher ein langes, fast atemloses Interview ist, heißt "Die Geschichte meiner Filme" und das stimmt auch. Aber wenn er überlegt, dass "Deutschland damals", als er in den katholischen Kindergarten ging, "ein anderes Land war", dass es damals weniger Probleme mit der Integration gab als heute, dann nennt er die Ursache "Globale Ghettoisierung", und sein Buch geht analytisch über seine Filme hinaus.
Über seine frühesten Anfänge als Filmemacher gibt es vergnügliche Geschichten wie jene, als er "Abenteuer in Rio" mit Lego-Figuren nachgespielt hat, oder als er später die Türkei entdeckte, die ihm bis zum Abitur nur ein Urlaubsort war, und ihm das Land seiner Eltern erst nahe kam, als er dort seine Filme drehte. Als er den Film "Kurz und Schmerzlos", die Geschichte über Liebe und ein kriminelles Leben, der Kritik preisgab, galt er plötzlich, gegen seinen Willen als "Ethno-Filmer" und das Etikett gefiel ihm nicht. Er sah und sieht seine damalige Arbeit im Gefolge von Tom Tykwers "Lola rennt" und ist so ehrlich und großzügig zu sagen, dass auch er durch Tykwers Tür gegangen ist, die "Tykwer uns allen geöffnet hat."
Wenn Akin über die Dreharbeiten von "Gegen die Wand" erzählt, der Film der den Goldenen Bären bekam, dann gibt es sowohl jene Szene, in der er und der unvergleichliche Birol Ünel sich mit Stühlen bewerfen, weil der Schauspieler nicht so wollte wie der Regisseur. Als auch auch jene, in der die leuchtende Sibel Kekilli den lampenfiebrigen Ünel tröstend in den Arm nimmt, damit eine Liebesszene gedreht werden kann. Akin kann hart und zart, das ist ein wichtiger Teil seiner Qualität als Regisseur. Und er kann auch bescheiden: Als ich ihm während der Berlinale 2004 mitteilten konnte, dass er für "Gegen die Wand" den Preis der internationalen Filmkritik bekommen würde, hat er sich gefreut wie ein kleiner Junge. Dabei war er längst ein Großer und sollte, von Film zu Film, ein noch Größerer werden.
"Bei mir sieht man immer, wo ich gegessen habe - man sieht die Krümel", meint er zu seiner Art des Filmemachens, wenn er sie mit der "visuellen Eleganz" von Tom Tykwer vergleicht und man muss ihn eben der Krümel wegen loben und lieben. Zu Tykwers Omnibus-Film "Deutschland 09" ist sein Beitrag ein nachgestelltes Interview mit Murat Kurnaz, jenem Deutsch-Türken aus Bremen, der in Guantanamo saß und dessen Gefängnis-Schlüssel die deutsche Regierung weggeworfen hatte. Es waren die Krümel und Flecken auf der vorgeblich weißen Weste des damaligen Außenministers Steinmeier, die in Akins Beitrag überdeutlich wurden. Zur selben Zeit drehte er gerade "Soul Kitchen", den ersten deutschen Heimatfilm eines Kumpels, dessen Eltern aus der Türkei kommen, der ein ebenso komisches wie sensibles Stück über Gentrifizierung geworden ist. Ich hoffe, dass es Fatih Akin, der ungern auf eine Rolle festgelegt wird, mir nicht übelnimmt, wenn ich behaupte: Er und seine Filme waren und sind die schönsten Antworten auf den Anti-Migranten Sarrazin, bevor der überhaupt seine Fragen aufgeworfen hatte.