Was weiß die allgemeine westliche Welt vom Iran? Für die europäische Geschichtsschreibung war er lange ein notwendiges Nebenprodukt des Alexanderfeldzuges: Jene Keilerei 333 vor unserer Zeitrechnung, die unterlegene Perser und siegende Griechen bis in die Schulbücher trug. Dann taucht in der populären Rezeption noch eine gewisse Zeit das Märchen des Soraya-Farah-Dibah-Pfauenthrones auf, um von dort zur Achse des Bösen zu gelangen. Da ja der britische Imperialismus schon nahezu überall gewesen ist, hatte der Wagenbach-Verlag eine glückliche Hand, als er das Buch "Iran" von Michael Axworthy, einem Mitarbeiter des britischen Foreign Office, aus dem Englischen für den deutschen Gebrauch übersetzen ließ. Dass der große Alexander für die iranische Geschichte nur eine Fußnote war, macht Axworthy schnell klar.

Der englische Wissenschaftler erinnert an die Ursprünge der Iraner, daran, dass für sie die Griechen Barbaren waren, und später sie selbst sehr ernstzunehmende Rivalen der Römer. Natürlich widmet sich der Autor ausführlich der Entwicklung der schiitischen Religion. Jener Fraktion im Islam, die im verloren gegangen 12. Imam, eine Art Messias begreift und der nach Auffassung der Schiiten das einzig legitime Oberhaupt aller Muslime ist. Diese lange Linie in der iranische Religionsgeschichte erklärt zumindest partiell die besondere Rolle, die Ayatollah Chomeini einnahm, als er 1979 aus dem französischen Exil in den Iran zurück kam und mit dem Titel "Imam" geehrt wurde, der erste Mensch, der seit dem mysteriösen Verschwinden des 12. Imam vor mehr als tausend Jahren wieder diesen Titel trug.

Dass der Iran lange Jahre das Spielfeld des Great Game war, der Austragungsort des englisch-russischen Konfliktes um den imperialen Einfluss in Zentralasien, kann Axworthy gut aus den Akten des Foreign Office belegen. Auch aus jener Zeit rührt der iranische Unwille gegenüber Einmischungen von außen, der bis heute anhält, selbst bei jenen Iranis, die mit dem aktuellen System nicht zufrieden sind. Als das erste iranische Öl als Teilchen-Beschleuniger imperialer Interessen hinzukam, wurde das große Spiel zunehmend eines, das primär von den USA gespielt wurde. Sie traten auf den Plan, um die Briten abzulösen. Von ihren Gnaden war jener Schah Reza Pahlawi, dessen Folterkeller berüchtigt war und dessen Geheimdienst in schöner Gemeinsamkeit von der CIA und dem israelischen Mossad ausgebildet wurde. Auch dass der erste relativ demokratische Präsident des Iran, Mohammad Mossadegh, der die Ölindustrie des Landes nationalisieren wollte, mit Hilfe der CIA weg geputscht wurde, ist den Iranis in schlechter Erinnerung.

Gern wird Chomeini als nur-religiöser Schreckensmann und die von ihm geführte Revolution als unheilige Schreckensherrschaft dargestellt. Anders Axworthy: Er berichtet nüchtern von den sozialen und nationalen Wurzeln der Islamischen Republik: Von Chomeinis Predigten gegen die Armut, gegen die Korruption des Schah-Regimes und gegen die Unterwerfung des Schahs unter die USA. Während eine von den außerordentlich dummen US-Regierungen seit Reagan bis Bush dominierte öffentliche Meinung nur iranischen Terror spiegelt, ist der britische Ex-Diplomat einfach politisch. Er gemahnt kühl an den irakisch-iranischen Krieg von 1980 - 1988, den der Irak mit wohlwollender Bewaffnung und Unterstützung durch den Westen vom Zaun gebrochen hatte und der die Bevölkerung hinter ihrer politischen und religiösen Führung versammelte. Auch, dass die iranische Führung nach den Anschlägen des 11. September 2001 den Terror unmissverständlich verurteilte und auf den Straßen Theherans Kerzenmahnwachen zu sehen waren, entgehen seinem Gedächtnis ebensowenig, wie die Frontstellung des Irans gegen die Taliban. Beides wurde von Bush jr. mit der Einordnung ins Schurkenfach belohnt, gleich neben Irak und Nordkorea.

Axworthys Buch plädiert für eine nüchterne Sichtung historischer und politischer Fakten bei der Betrachtung des Irans und zugleich hofft er auf innenpolitische Veränderungen, allerdings auf solche, die dem Iran nicht von außen angetragen werden. Auch der Blick des Autors auf den jetzigen Präsidenten, Mahmud Ahmadinedschad, erkennt soziale Wurzeln, Gegensätze von Arm und Reich, von Stadt und Land im Iran, ohne sie zu verabsolutieren. Nur ein klein wenig schwächelt das Buch, wenn es in der Atomdebatte nicht erwähnt, dass man der Lösung nahe kommen könnte, wenn die internationale Staatengemeinschaft eine atomwaffenfreie Zone in der gesamten Region, unter Einschluss Israels, erreichen würde. Immerhin vermittelt der kluge Band über den Iran auch eine amüsante Anekdote: Im Januar 1989 sandte Chomeini einen Brief an den Chef der KPdSU, Gorbatschow, und empfahl jenem dringend, da der Kommunismus ausgedient habe, doch den Islam als Lebensform zu prüfen, bevor er in die kapitalistische Falle tappen würde. Gorbatschow war nach eigenem Bekunden stolz darauf, einen persönlichen Brief des Imam erhalten zu haben. Diese kleine Geschichte charakterisiert beide Personen: Den sendungsbewußten Mystiker aus Persien und den schwankenden Reformer aus Russland. Ob das Auswärtige Amt, das bisher zumeist in das amerikanische Terror-Horn tutete, wenn es um den Iran ging, eine Kiste Bücher bei Wagenbach bestellt hat, ist bisher nicht bekannt.