Eine geschlossene Gruppe kommt wie ein Mensch dem Zuschauer entgegen, Füße stampfen den Boden, kraftvoll bewegen sich die Körper und die Theater-Formation singt: Manchmal wild und trotzig, machmal engelsgleich und ironisch, manchmal wie in den kindlichen Reigen der versunkenen Straßenspiele: "Ene mene mu! Raus bist Du! Wer wird der nächste sein, der aufs Pflaster fliegt?" fragt der gar nicht so kindliche Reigen, löst sich auf, kommt wieder zusammen und stellt das dar, was der göttliche Markt, der Entscheider über Leben oder Hartz IV, auf keinen Fall will: Eine ebenso entschlossene wie kollektive Gruppe, die ihre Arbeitsplätze verteidigt.

Seinen Ausgang nahm das Theaterstück von einer Betriebsbesetzung in Mailand, im Jahr 2008. Das alte Lied: Die kleine Metallbude warf nicht genug Profit ab, dem Besitzer schien die Schließung seines Eigentums gewinnträchtiger als die Weiterführung, also macht der den Laden dicht. Doch mitten im Berlusconi-Italien: Ein neues Lied, jenes von der Besetzung und von der Frage, wessen Eigentum ist das eigentlich? "Von Zeit zu Zeit", singt die Theatergruppe, "siegen die Arbeiter - aber nur vorübergehend" und die Schauspieler schauen über den Rand der Bühne hinaus, als wüssten sie etwas, das der Zuschauer nicht weiß, von der Möglichkeit des Sieges, von der Chance hinter dem begrenzten Horizont von hire and fire.

Manchmal tritt einer aus der Gruppe heraus, gibt ein Stichwort - nicht wie ein Anführer, den scheint die Gemeinschaft der Arbeitsplatzverteidiger nicht zu haben - wie von der Gruppe ausgedacht, dem Einzelnen aufgetragen, dann fällt er wieder zurück in den Schoß der Gemeinschaft, und die bewegt sich zu einer karg instrumentierten, doch ungeheuer rhythmischen Musik, um das Spiel weiter zu treiben. Eine schrille Flöte setzt die Ausrufezeichen, eine Marschtrommel koordiniert die Bewegungen, ein Akkordeon unterstützt die skandierenden Chöre, ein Becken trennt diesen Text von jenem. Es ist die Choreographie des Straßentheaters, die den antiken Sprechgesang in die Moderne transportiert und dem Stück eine rasante Fahrt verschafft.

"Wie viel einfacher wäre es, wir könnten Gras fressen", beginnt ein Gesang, der ironisch einen Gregorianischen Choral imitiert, um dann, mit einem sehr unkirchlichen Text, Erkenntnisse zu verbreiten: "Nur wer am billigsten produziert, die Rohstoffe am schnellsten zutage fördert, die Erde am verheerendsten ausblutet, gewinnt die Schlacht." - Den Text des Stückes, auch die Regie, verantwortet Christa Weber, die Musik stammt vom Komponisten Christof Herzog, gemeinsam nennen sie sich "Weber-Herzog-Musiktheater". Die Schauspieler sind im wirklichen Leben Studenten, Gewerkschafter und Arbeitslose, aber wer sie agieren sieht, dem fällt das nicht auf. Dass diese Revue der kämpferischen Art ihre Uraufführung bei einem Straßenfest einer Bürgerinitiative gegen Gentrifizierung findet, wer wollte sich darüber wundern?

RAUS BIST DU NOCH LANGE NICHT
Uraufführung am 18. September gegen 14.00 Uhr
Berlin-Mitte, Wilhelmstraße 87