Eine zarte, bitter-süße Sehnsucht durchzieht den Roman - der auch einer über Danzig ist und über die Polen wie die Deutschen - die Sehnsucht nach einer Liebe, die sich nicht erfüllt. Die Liebe der deutschen Kinga Mischa zur polnischen Renia taucht den Roman "Ambra" von Sabrina Janesch in ein tiefes Aubergine. Denn Aubergine, das weiß jeder, ist die Farbe der unerfüllten Liebe. Wer nun denkt, die Janesch hätte nur einen Liebesroman geschrieben, der irrt. Und es ist auch kein Roman, den die Autorin mit ihrem zweiten Buch dem Lesen preisgibt, es ist ein Netz. Gewebt wahrscheinlich von jener Spinne, die, seit Millionen Jahren in einem großen Bernstein geborgen, viele Generationen der Familie Mischa/Mysza begleitet.
Die Mischas, die aber eben auch Mysza heißen, kommen ursprünglich aus der Kaschubei, jenem Gebiet unweit von Danzig, von dem die polnischen und deutschen Leser seit Günter Grass wissen, dass in dessen Erde Romane wachsen können. Und schon zu Beginn des Buches, in der dichten und duftenden Beschreibung der Stadt Danzig, lässt uns die Autorin wissen, dass sie keine Scheu vor dem Kontakt mit dem großen, alten Mann der deutschen Literatur hat: "Jeder Schlag auf jede Trommel und jeder Schrei, jedes zerbrochene Glas . . . findet Eingang in das Gedächtnis der Stadt", schreibt die Janesch und der trommelnde und Glas zersingende Oskar Matzerath aus der "Blechtrommel" bringt sich leise in Erinnerung.
Doch Sabrina Janesch schreibt nicht ab, sie beutet die eigene Herkunft aus: Ihre Mutter stammt aus Polen, ihr Vater ist Deutscher und sie schreibt zwischen den Herkunfts-Stühlen, ein Platz, der unbequem genug ist um Produktivität zu erzeugen. So wird die deutsche Mischa in Danzig auf den polnischen Mysza-Zweig der Familie treffen, sie wird sich verlieben, aber auch als Seherin arbeiten, an einem verrückten Kunstwerk mitwirken und sich erinnern: Wie war das, als die Deutschen in Danzig die Mehrheit stellten, als die Nazis die Stadt beherrschten und die Kaschuben ihre Sprache nicht mehr öffentlich sprechen durften, als ein nationaler Riss durch die Familie ging und der eine Zweig sich als deutsch begriff während der andere in der Illegalität leben musste.
Der Danzig-Roman, das Gewebe, kennt nicht nur den Rückblick: Mit kräftigen Strichen zeichnet die Schriftstellerin die Gegenwart der polnischen Stadt Danzig und findet dort einen traumatisierten Söldner, dessen polnische Regierung unbedingt an der Seite der USA in den Irak-Krieg ziehen musste, und dessen 2.500 Soldaten nicht nur am Kriegsverbrechen teilnahmen, sondern auch ein Verbrechen gegen sich selbst verübten. Aber so ist es mit dem Ambra: Den einen ist es das gelbe mythische Elektron der Antike, dem anderen ist es das Sekret des Pottwals, Bestandteil teurer Parfums, von dem Herman Melville in "Moby Dick" erzählt: "Ich behaupte: wenn der Pottwal seine Schwanzflosse hochschleudert, verströmt er ebensoviel Wohlgeruch wie eine moschusparfümierte Dame, die in einem warmen Salon ihre Röcke rascheln lässt.“ Sabrina Janesch kann beides: Zart und rau, duftend und elektrisierend, sie ist eine wunderbare Hoffnung des jungen deutschen Romans.