Als wäre es eine Inszenierung im Internet: Zwei, die sich nicht kennen, führen endlose Telefongespräche. So wie Tag für Tag Menschen ihre durchaus privaten Texte ins Netz stellen, sich einer Gemeinde offenbaren, die sie nicht kennen, auf ein Echo hoffen, das im puren Wort besteht. Gerlind Reinshagen - die Autorin des Romans "nachts" - steht nicht im Verdacht des unentwegten Surfens durch das weltweite Gespinst, in dem sich alle möglichen menschlichen Regungen verfangen haben, auch die, die man für unmöglich gehalten hätte. Das Thema der beiden Romanfiguren, die sich des altmodischen Telefons bedienen, ist der Tod.

Ein Arzt und eine Näherin hängen nächtens am dünnen Draht. Es ist der alternde Mann, der dringend eine Hörwand braucht, der er seine Angst vermitteln kann. Offenkundig ist er einer dieser modernen Menschen, die zwar Reden wollen, aber kaum zuhören können, die sich mitteilen, aber nicht teilen, nur abladen. Menschen die mitten in den großen Städten mit den vielen anderen einsam sind. Scheinbar anders als im Netz, beschränkt sich das Geben und Nehmen im Buch auf nur zwei Menschen. Doch die Anonymität, das Unkörperliche der Kommunikation, die Einbahnstraße des Redens, lässt das Private zum Öffentlichen gerinnen, so wie die Nachrichten von einem gesprochen werden, der seine Empfänger nicht kennt, nicht kennen will.

Über die "Vorabendleiche" spekuliert der Arzt, über die vielen Toten, die in den TV-Krimiserien eine Rolle spielen, und zieht eine lange Linie von den echten Kriegstoten, die er noch erlebt hat, bis zu den Scheintoten, die ein Medienapparat in die Zimmer der Nachkriegsgenerationen kotzt. Und wieder läuft ein Kommunikationsfaden durch das Gewebe des Romans, der sich nur langsam aus dem virtuellen Monolog in eine Geschichte des wirklichen Lebens wandelt, als der Arzt irgendwo am Rand der Stadt in ein verfallenes Haus zieht, an die Grenze des Städtischen.

Für einen Moment lässt der Roman ein Hoffen zu: Auf drei sonderbare, ausgestoßene Menschen trifft der Arzt in seinem neuen-alten Haus. Mit ihnen beginnt er eine Gemeinschaft, mit einer Frau glimmt der Beginn einer Liebe, bis die Autorin alles Beginnen in ein jähes, katastrophales Ende kippen lässt, das kaum eine Zukunft bereithält. "Ah, ich kenne euch, ihr Jungen, die ihr den Krieg nicht erlebt habt . . .Die ihr verlernt habt zuzuhören", schimpft der Arzt zu seiner Zuhörerin und erst als er sie bittet zu reden, darf der Leser auf ein besseres Ende hoffen, eines, das außerhalb des Buches liegt.

Gerlind Reinshagen hat den Generationen einen Spiegel geschrieben, auch einen der Kultur der endlosen Monologe. Und zugleich ist ihr Roman eine dunkle, reich formulierte Arbeit über den Tod, der als Voraussetzung viel Leben braucht.