Man sieht sie mit ausgestrecktem Arm durch die Gegend gehen. Wie Traumwandler durchstreifen sie Landschaften und Städte, am Ende des Arms, in der Hand, ruht das Foto-Handy. Und die Inhaber des Arms fotografieren immer nur sich selbst: Vor dem Eiffelturm, vor der Clique, vor dem Baum im Park. Diese Gattung der Fotografie wird "Selfie" genannt, Englisch natürlich, und ist unversehentlich nur um Haaresbreite vom ebenfalls englischen "selfish" (selbstbezogen) entfernt. Einen solchen Flickenteppich von Selfies legt Damir Karakas als autobiografischen Roman vor. Den Hintergrund liefert Paris und ganz vorne im Bild steht immer Karakas und Karakas und Karakas.
Aus Kroatien kommt Karakas, aus einem dieser Länder, das sich die jeweiligen Nationalistenführer blutig aus dem alten Jugoslawien herausgeschnitten haben. Im Fall Kroatiens unter der freundlichen Mithilfe Deutschlands, die Deutschen hatten dort alte Beziehungen und es waren allerdings keine zu den früheren Anti-Hitler-Partisanen. Jetzt nun, in Paris, scheinen die alten balkanesischen Feindschaften vergessen. Gut, exilierte Kroaten haben immer noch kein herzliches Verhältnis zu den exilierten Serben, aber gemeinsam ist man Strandgut, von den Wellen westlicher Politik in ein Paris der Flüchtlinge getrieben. Man lebt mit kürzestfristiger Aufenthaltsgenehmigung, von der Hand in den Mund, von Schwarzarbeit, im Karakas-Fall von den Karikaturen, die er den Touristen verkauft und von der Idee seinen kroatischen Roman ins Französische übersetzen zu lassen, um endlich jenen internationalen Ruhm zu erreichen, dessen matter Glanz bisher nur in Kroatien schimmert.
Dunkel liegt der Schatten seines Bartes auf der Mundpartie, balkanesisch-düster glimmen die Augen des Schriftstellers auf dem Foto des Buchumschlages, verwegen schneidet die Krempe seines Hutes die Stirn: Ich kann auch anders, sagt das Bild. Im Roman kann er vor allem eines: Freundliche Frauen ausnutzen. Nahezu seriell schläft er mit ihnen und so schreibt, beschreibt er auch die Beischlaf-Szenen: Schnell und selfish. Da dem Autor wenig an den Damen liegt, kann er auch beim Leser kaum Interesse für die Objekte seiner Obsession erwecken, die, kaum benutzt schon entledigt, eben nur die Hintergründe abgeben.
Vordergrund macht Bild gesund, so lautet eine alte Fotografenweisheit. Doch nur wenige Fotografen kämen auf die Idee den immer selben Macho in der immer gleichen Einstellung zu fotografieren. So erfährt der Leser zwar von den sozialen Verwerfungen des Einwanderer-Paris. Und alles ist so schön authentisch. Aber die flotte Schreibe imitiert nur Empathie, pinselt das Elend pittoresk und immer ist man gewiss: Was da aufgeschrieben, dient dem kleinen Ziel eines Autors groß rauszukommen.