Nach Dachshaarprodukten unter dem Label Hildegard von Bingen, nach Edelsteinwasser und Hildegards Kräutertee nun der Film: "Visionen" von Margarethe von Trotta. Es waren häufig starke Frauen, die uns von Trotta mit ihren Filmen geschenkt hatte. Ob die politisierten Schwestern aus "Bleierne Zeit", die zärtlich-energische Rosa aus dem Luxemburg-Film oder die Frauen von der "Rosenstrasse", die ihre dem Tod geweihten, jüdischen Männer den Nazis aus den Zähnen rissen. Nun also darf es eine Mystikerin sein, fraglos auch eine starke Frau, doch während die anderen weiblichen Figuren der Filmemacherin eher in der Opposition standen, erleben wir mit der Äbtissin Hildegard eine Dame des mittelalterlichen Mainstreams: Mystik war gut für das katholische Marketing und die klerikalen Schriften der Nonne entsprachen, Punkt für Punkt, der damaligen, düsteren Kirchenlehre.
Gregorianisch anmutende Klänge lasten auf dem Film wie Mehltau auf den Blumen, Weihwasser scheint in den Adern der Gräfin Hildegard von Bingen (Barbara Sukowa) zu fließen, die anfänglich noch in einem von Männern dominierten Benediktinerkloster unterkommt aber schon bald, dank ihrer populären Visionen und ihres blendenden Adelsnetzwerks, zu einem eigenen Unternehmen gelangt. Während ihre Heilkunde (sie soll eine Reihe medizinischer Texte geschrieben haben, die alle nicht historisch nachgewiesen sind) im Film nicht angezweifelt wird, stoßen ihre Visionen anfänglich auf Skepsis: Der männliche Abt sortiert sie als gefährlichen Unfug ein und droht ihr mit dem Teufel. An dieser frühen Schnittkannte eines Films, der sehr lange von sehr vielen Dialogen lebt, kommt Bernhard von Clairvaux als Zeuge für die von Bingen ins Spiel: Ausgerechnet der hyperorthodoxe französische Abt und berüchtigte Kreuzzugsprediger wird von der Trotta als Helfer ihrer Hauptfigur eingeführt.
Hildegard ist nicht allein in ihrem Kampf um ein eigenes Kloster: An ihrer Seite steht der Mönch Volmar (Heino Ferch), der später auch ihr Sekretär und Skribent ihrer Schriften wird, und ein wenig später auch Richardis von Stade (Hannah Herzsprung), Tochter der gleichnamigen Gräfin. Zwischen Hilde und Richardis entspinnt sich eine Beziehung, die über die Nächstenliebe hinausgeht, aber leider nur angedeutet wird. Obwohl Frauenliebe in Klöstern jener Zeit nicht unbekannt war, tastet die Regisseurin den heiligen Ruf ihrer Figur nicht an. Dem Film hätte ein wenig Sex nur gut tun können, so bleibt er eher konventionell und ein wenig langweilig. Das Drehbuch bewegt sich halbwegs entlang der historischen Wahrheit und lässt Richardis, im Ergebnis einer nicht aufgeklärten, adligen Machtplanung, zur Äbtissin in einem Kloster im Bistum Bremen werden. Dass sie dann früh stirbt, erzählt uns der Film (nicht die Überlieferung) als eine Art Strafe: Was verlässt sie auch unser heiliges Hildchen!
Mit den "Rittern der Kokusnuss" hatte uns die Gruppe "Monty Python" einen endgültigen Grabgesang auf den Mittelalterfilm hollywoodscher Prägung geliefert, dachte man. Diese Sorte Historienschinken, die heute noch in Spektakeln auf Jahrmärkten überlebt, war immer stark vom Kostüm geprägt und historisch so ungenau wie irgend möglich. Nun mag man einwenden: Was soll all die historische Genauigkeit, Hauptsache, es wird eine spannende Geschichte erzählt, so viel Freiheit braucht der Film. Doch wenn man es mit einer ideologisierten, von der Pharma-Industrie und der Esoterik genutzten Figur zu tun hat, täte ein wenig historische Präzision gut. Statt dessen lässt Frau von Trotta ihre Visionärin noch dem späteren Kaiser Barbarossa dessen künftige Würde voraussagen, als sei die Kaiserkrönung nicht ein lange abgekartetes Spiel zwischen Barbarossa und dem Papst gewesen, begleitet von Söldnerheeren und dem Versprechen Barbarossas, dem Papst die auftständische römische Kommune zu unterwerfen.
Das eigene Kloster der von Bingen wird gerne, auch vom Film der Trotta, als eine emanzipatorische Tat ausgegeben. Wohl deshalb inszeniert "Visionen" einen Tanz der Nonnen in unfrommen, weißen Gewändern und offener Haarpracht, der prompt zu einer Missbilligung durch eine andere Äbtissin führt. Doch das Personal der Nonnenklöster jener Zeit bestand wesentlich aus adeligen Fräuleins, die, dem Wunsch der Familien entsprechend, das Netzwerk zwischen Adel und Kirche fest knüpfen sollten. Denen konnte wenig geschehen wenn sie nur kirchenfromm waren. Hätte Margarethe von Trotta nach emanzipatorischen Ansätzen im mittelalterlichen katholischen Leben gesucht, dann wäre der Stoff von Abaelardus und Heloïse infrage gekommen, von jenem Abt und jener Äbtissin, die durch ihre verbotenen Liebesbriefe unsterblich geworden sind. Aber ob dieses Thema die Partnerschaft des Arzneiunternehmens ABTEI gefunden hätte, wie es bei "Visionen" so interessant gelungen ist, bleibt fraglich.
Am 24. September im Kino