Es gibt diese Bücher, die man in Eisenbahnen lesen sollte: Ein Rollen, das der Geschichte ein hübsches Reisetempo verleiht, zum Beispiel, wenn man mal wieder Tucholskys Schloss Gripsholm liest. Auch gibt es Romane, die mit dem Gruseln spielen, die am Kamin gelesen werden müssen, eine Heizung tut es auch, wichtig ist: Dass es draußen unwirtlich und drinnen gemütlich ist, das hebt den neuen Eco ungemein. Und dann gibt es noch die Gattung der Romane, die zwischen Weihnachten und Neujahr zu lesen sind. Jener fast zeitlosen Zeit zwischen den Tagen, in der das Pendel zwischen Braten und Sekt, zwischen Besinnung und Frohsinn schwingt. Zu dieser Gattung gehört fraglos Louis Begleys "Schmidts Einsicht".
Schmidt, den alle Schmidtie nennen, lebt in Neu England so für sich hin und nichts zu suchen - außer hier mal nen delikaten Hummer und dort mal nen freundlichen Beischlaf - ist eigentlich sein Sinn. Dem einst erfolgreichen und inzwischen primär reichen Anwalt ist vor geraumer Zeit die Frau verstorben, das Verhältnis zu seiner Tochter darf man als angespannt bezeichnen und das letzte überwältigende Liebesverhältnis mit einer Frau, die seine Tochter hätte sein können, hat sich zu einer schönen, durch Schmidts Geld temperierten Freundschaft entwickelt. Dass Begleys Hauptfigur dann noch für einen superreichen Spekulanten arbeitet, für den er dessen Stiftungen in Ost-Europa abklappert, der unverkennbar die Züge von George Soros trägt, gibt dem Roman jene Weltläufigkeit, die nur mit vollem Magen und ausgesprochen heiterem Gemüt zu ertragen ist.
Ein Ort von Schmidts Spiel sind "Die Hamptons", jene Gegend auf Long Island, in der die absolut besser verdienenden New Yorker residieren. Die andere Bühne hört auf den Namen Paris. Eine ausgesuchte Reihe von Edel-Hotels, Sterne-Restaurants und Luxus-Suiten wird dem Leser unter die Nase gehalten. Aus diesem Ambiente heraus kann Schmidtie erkennen, dass die Spekulanten-Stiftungen "Demokratie, Humanwissenschaften und Kapitalismus fördern." Dass es sich bei dieser Förderungskombination um einen Widerspruch an sich handelt, ist dem pensionierten Rechtsanwalt nicht klar. Unklar auch die Liebes-Zukunft. Denn da ist Alice, die ist, so sagt der Umschlagtext im besten Lore-Roman-Stil, "eine Frau, die er vor Jahren bewundert hat und die plötzlich wieder in sein Leben tritt."
Mit Alice und ihren Verwicklungen - ihr an AIDS verstorbener, schwuler Mann, ihr aktueller, bulgarischer Beischläfer - wird das Buch endlich zum wohlgefügten Gesellschaftsroman, der von einem sanften Hauch Altersgeilheit durchweht ist. Louis Begley hatte mit seinem Debütroman "Lügen in Zeiten des Krieges" ein sensibles Portrait eines kleinen Jungen in Zeiten des Holocaust vorgelegt. Sein Dreyfus-Buch, verknüpft mit dem aktuellen Unrecht des Lagers auf Guantánamo, ist eine brillante Streitschrift gegen Rassismus. Nun also "Die Hamptons". Das Gebiet wurde den Algonkin-Indianern im 17. Jahrhundert für den Gegenwert von 24 Äxten, 24 Mänteln, 20 Spiegeln und 100 Ahlen abgekauft. Schon hier hatte der junge Kapitalismus natürlich Demokratie und Humanwissenschaften gefördert. So gründlich, dass von den Algonkin-Indianern nichts mehr übrig blieb. Fröhliche Weihnachten und ein gutes Neues Jahr auch.