Als im Jahre 2005 der Deutsche Theaterpreis an eine kleine ostdeutsche Provinzbühne ging, rieb man sich die Augen: Senftenberg - was ist denn das? Achtung, Herrschaften, ähnliches Erstaunen könnte Sie bald erneut befallen. Im heimeligen Rudolstadt nämlich, am kleinsten der Thüringer Theater, passiert Erstaunliches. Grund ist der neue Intendant Steffen Mensching. Mit eher unüblicher Vorgeschichte als renommierter Autor (“Aufbau” Berlin) und Clown (im Duo mit H.E.Wenzel: “Letztes aus der DaDaEr” und andere Boshaftigkeiten vor und nach 1989) folgte er 2008 dem Ruf in die Saalestadt, und seitdem, sagen wir’s mal so: rockt er die Hütte. Mensching hat Berliner Witz und New-Yorker Tempo, raumgreifende Phantasie und historischen Sinn. Die Mischung macht’s.

Heines “Wintermärchen” stand Pate beim neuesten Streich: der Anti-Depressions - Revue “Drunter und Drüber”, verfaßt zusammen mit Chefdramaturg Michael Kliefert, unter Zuhilfenahme unterschiedlichsten Liedgutes. Wie stöhnten wir doch alle unter der monatelang stets nach ähnlichem Strick- und Deutungsmuster ablaufenden Mauer-Umkipp-Feierei, und wie herzerfrischend anders kommen uns jetzt diese Thüringer. Fünf von ihnen sind zu einer ominösen Casting-Show in ein ranziges Rundfunk-Studio gebeten. Wie sie dahin geraten sind, ist unklar, wie bei allen, die man auch im realen TV vergleichbar begaffen kann. Sie soll’n sich halt präsentieren, und scheinen nicht so recht zu wissen warum und wie.

Aber gut; dazu gibt's ja den mit allem Medienshampoo weichgespülten und hartgesottenen Moderator (auch gesanglich souverän: Markus Seidensticker), der wird ihnen den Marsch schon blasen. Jeder Mensch hat schließlich, auch als Ossi, was vorzuweisen, oder? Und so verkündet Marcus Ostberg, naßporsch und ölig, wie er gleich nach der Wende die Sache in die Hand nahm, die “Bild-Zeitung” von Bayern nach Thüringen brachte und es damit zum Millionär. Später alles verspielt; was soll’s - so ist die Welt und richtig gut - und “ich bin massenkompatibel”, so singt er dann, und ist plötzlich, in zwei Minuten, ein kleines Häufchen Elend !

Ach, wir Helden! Hans Burkia: Es ist ja nicht so, dass man als SED-Funktionär keine Fähigkeiten hätte haben müssen. Die lassen sich jetzt sogar ganz gut nutzen. Man ist redegewandt und eloquent, und irgendwer muss schließlich die Leute unter die Erde bringen. Mit dem Charme eines rumänischen Schlafwagenkellners: hier könn’ Sie schön gestorben werden, und da ist schon mal meine Karte.... wunderbar macht er das.

Dazwischen haut Anne Kies, zart und drahtig, mit großer Klappe und riesigen Botten, voll von heiligem Zorn auf die Umstände und vor allem auf die, die sich mit ihnen abgefunden haben - ein Mädchen irgendwo zwischen Lisbeth Salander, Pippi Langstrumpf und Tanja la Guerillera. Schamlos nimmt sie ihren verachteten Papa aus, dessen Erfolg für sie grad sein Versagen ist, und in Heiligendamm spielte sie mit den Bullen Katz und Maus, und wenn da Steine flogen, war’s wohl auch sie. Eine hyperintelligente Kratzbürste voller Zynismus und Kraft - von der man hofft, sie möge lange halten.

Über die Bühne stöckelt Ewa Rataj als polnische Putzfrau, mit lästigem Staubsauger und hüpfendem Hintern, aber wartet nur: Die hat es faustdick hinter den Ohren, die zeigt Euch noch, was ’ne Harke ist, ihr werdet Euch noch wundern ! Eine heutige Seeräuber-Jenny, zweisprachig - erstklassig! Charlotte Ronas, bildungsferne best-age-looserin, alles hat sie schon probiert, Yoga und Bachblüten und nun gar die fünf Tibeter (alle tun mit, geradezu artistisch...), bis sie uns ihre grausame einfache Wahrheit erzählt. Und da wird’s ganz eisig im Saal. Chapeau, Madam.

So gelang hier ein rasanter Abend, der seinen Reiz aus treffsicherer Vorlage, guten Darstellern und einer ausgewogenen Mixtur von Wort und Musik zieht. Denn, nicht zu vergessen: die Thüringer Sinfonier Saalfeld / Rudolstadt, integraler Teil des Ensembles, sind mit von der Party, sitzen auf der Hinterbühne und meistern unter der Stabführung von Oliver Weder alle Klippen dieses stilistisch sehr breiten Repertoires. Undankbarerweise müssen sie hinter einem Folienvorhang agieren, da kann so richtiger Glanz sich leider nicht immer entfalten - oder wären sie sonst zu kräftig für die Sänger ? Vielleicht klingt’s ja im Berliner Gorki-Theater gar besser als daheim. Erfolg ist ihnen jedenfalls zu gönnen, wenn sie demnächst nach Berlin kommen, denn dieses Gastspiel tragen die Thüringer ohne extra Zuschüsse auf eigenes Risiko.

DRUNTER & DRÜBER
Am 28.Februar, 15.00 und 19.30 Uhr im Maxim Gorki Theater, im
Rahmen des Festivals “Musik & Politik”.