Nachdem letzten Mittwoch im Thüringer Landtag nicht wie erwartet Bodo Ramelow als Ministerpräsident wiedergewählt wurde, sondern der FDP-Landes- und Fraktionschef Thomas Kemmerich an seine Stelle gesetzt worden war, haben bei der Linkspartei nach Eigenaussage erstmal alle geheult. Dabei lief zunächst doch alles nach Plan. Ramelow war wie erwartet in den ersten beiden Wahlgängen gescheitert, während es dennoch als gesichert galt, dass er sich im dritten Wahlgang mit der nunmehr ausreichenden einfachen Mehrheit durchsetzen würde. Als aber dann Ramelow nur 44 Stimmen erhielt, null Stimmen auf den AfD-Kandidaten Christoph Kindervater entfielen, und Kemmerich wahrscheinlich mit seiner eigenen Stimme den Sieg davon trug, konnte nach linkem Blumenwurf und rechtem Handschlag entrüstet geschlussfolgert werden, dass alle Mitglieder von CDU, FDP und AfD für den haarlosen Friseur von der FDP gestimmt haben mussten. Es zeigte sich also in diesem unabgesprochen-abgesprochenen rechten Putsch gegen Ramelow äußerst öffentlichkeitswirksam, was die AfD dem geneigten Privatbeobachter kaum überraschend schon immer war: nämlich nichts weiter als der völkische Flügel von CDU und FDP.

Gegen diese These ließen sich an dieser Stelle unschwer Einwürfe aus dem sich selbst so gerne als bürgerlich stilisierenden Lager simulieren. Zum Beispiel, dass sich doch die Bundesspitzen von CDU und FDP und selbst deren thüringische Vertreter sofort gegen jegliche Zusammenarbeit mit den Siegesgaranten von der AfD ausgesprochen hätten. Oder dass sich doch sogar die Kanzlerin selbst im fernen Südafrika zum unzweideutigen Befehl nötigen ließ, die skandalöse, weil prinzipienlose Wahl sei sofort rückgängig zu machen. Dieser Art Einwürfe können allerdings ebenso leicht durch die Darstellung der faktischen Kontinuität von Schwarz und Gelb zu Braun entkräftet werden. Die Frage ist lediglich, welches der zahlreichen ehemaligen CDU- oder FDP-Mitglieder in der AfD sich am besten zur Illustration nutzen ließe. Wahrscheinlich ist es am besten, einen AfD-Politiker zu skizzieren, der vor einiger Zeit selbst durch eine staatlich finanzierte Reise nach Südafrika zu kurzer Medienprominenz kam.

Die Rede ist vom bayrischen AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. In seiner Abgeordnetenfunktion unternahm dieser jedenfalls bereits zwei Jahre vor der alternativlosen Kanzlerin eine staatlich finanzierte Dienstreise nach Südafrika. Im Rahmen dieses Besuches absolvierte Bystron unter anderem ein Schießtraining mit einer rechtsextremen und rassistischen Organisation namens „Suidlanders“, einer paramilitärischen Vereinigung weißer Siedler, die sich auf einen ihrer Ansicht nach „unvermeidbaren Rassenkrieg in Südafrika“ vorbereitet. Zur auf die davon aufmerksam gewordene Presse in Deutschland meinte Bystron damals lapidar, dass er „null Berührungsängste mit den Suidlanders“ habe, und dass er diese lediglich als Organisation von überwiegend weißen Farmern empfunden habe, „welche Angst um ihr Leben haben und sich organisieren um zu überleben, sollte es zum schlimmsten Fall kommen.“

Angesichts der Vorgänge in Thüringen kann gar nicht dick genug unterstrichen werden, dass dieser von südafrikanischen Rassisten paramilitärisch ausgebildete Bundestagsabgeordnete von 2006 bis 2013 Mitglied der FDP war. Als „freiheitlicher Mensch“ sei er 2013 auch nur deshalb sofort in die neu gegründete AfD ein- und aus der FDP ausgetreten, so Bystron gegenüber welt.de, weil es sich bei der AfD um eine ebenso „stinknormale und gut angezogene Partei der bürgerlichen Mitte“ handle wie bei der FDP. Wie sich das Schießtraining unter Buren im Rassenwahn mit diesen Beteuerungen in Deckung bringen lässt, bleibt Bystrons Geheimnis. Es handelt sich hier übrigens durchaus nicht um irgendein Geheimnis, sondern eines, das auch der bayrische Verfassungsschutz nicht zu ergründen vermochte, weil sich der von März bis September 2017 wegen „Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ beobachtete Lokalpolitiker durch die Wahl zum Bundestagsabgeordneten am 24. September 2017 in jene Immunität flüchten konnte, für die nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes andere „Voraussetzungen und Grenzen“ gelten.

Sicherlich eine Ausnahmeerscheinung, mag der Einwurf eines noch verbliebenen und dafür um so virtuelleren FDP-Verteidigers lauten. Doch dass es sich bei Byston keineswegs um eine Ausnahme handelt, sondern im Gegenteil um einen regelrechten Musterschüler, der sich in den wichtigsten nationalen Fragen nicht von jenen Parteien unterscheidet zu denen sich die AfD so gerne als Alternative stilisiert, hat er sich nun ausgerechnet von jenen Kreisen bescheinigen lassen müssen, wegen denen er einst vom Verfassungsschutz beschattet wurde. Ausgangspunkt der Ermittlungen war nämlich Bystrons Versuch gewesen, Ende Juni 2016 mit zwei Rechtsextremisten der „Identitären Bewegung“ und des Bündnisses Deutscher Patrioten eine öffentliche Veranstaltung Münchener Antifaschisten im Eine-Welt-Haus zu stören. Im Zusammenhang mit diesem Geschehen wurde Bystrons ideologische und personelle Nähe zur „Identitären Bewegung“ von Presse und Behörden beweiskräftig dokumentiert und die AfD konnte infolgedessen als Prüffall einer potenziell verfassungswidrigen Organisation eingestuft werden.

Warum also stempelte nun ausgerechnet Götz Kubitschek, seines Zeichens Herausgeber der rechtsradikalen Zeitschrift Sezession – also dem publizistischen Brutgebiet der „Identitären Bewegung“ in Deutschland – in einem Artikel der Internetausgabe seines Magazins Bystron als einen „peinlichen Musterschüler“ ab?

Stein des Anstosses war eine Rede Bystrons bei der Abstimmung über eine von der Linksfraktion im Bundestag beantragten Forderung nach dem Abzug der US-Truppen aus Ramstein. Der Antrag der Linkspartei wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und AfD abgelehnt. Kubitschek beanstandete nun, daß sich Bystron mit dieser Rede vor dem Hintergrund des Iran-Konflikts und der Ermordung von General Suleimani im Irak hinter die von US-Stützpunkt Ramstein aus geführten Drohnen-Kriege zum Zweck des „Regimechanges“ stellte. Dementgegen sollte sich Deutschland laut Kubitschek nicht an Kriegen beteiligen, über deren Führung es nicht mitentscheiden darf und darüber hinaus einen Abzug ausländischer, kriegführender Truppen aus Deutschland fordern. Dies gelte vor allem dann, wenn die Konsequenzen der durch „diese Kriege in Gang gesetzte Migrationswelle“ vorrangig Deutschland zu tragen hätte. Nach Kubitschek sollte eine solche Haltung aus inhaltlichen, strategischen und taktischen Erwägungen in der Bevölkerung breite Zustimmung finden, zum einen, weil man die „Durchsetzungsbrutalität der Vereinigten Staaten“ und den Regime Change an sich ablehnen sollte, zum zweiten, weil sie ein Mindestmaß an Souveränität markierte; und zum dritten, weil sie auf der taktischen Ebene der innenpolitischen Kämpfe „eine Alternative zur Alternativlosigkeit wäre.“

Zum anderen monierte Kubitschek Bystrons Versuch, mit dieser Rede eine vermeintliche „Instrumentalisierung“ des Holocausts gegen nationale, rechte Positionen dadurch in ihr Gegenteil zu verkehren, indem man sich einer bedingungslos israelfreundlichen Politik bediene und Auschwitz so in der Tradition Joschka Fischers als ein Argument für den Regime Change in Ländern wie dem Iran verwendet. Laut Kubitschek ermögliche Bystron dadurch lediglich die unstatthafte Instrumentalisierung der Geschichte zu heutigen Zwecken, eine Instrumentalisierung, die immer wirkungsvoll gegen Deutschland und vor allem auch gegen die AfD verwendet werden könne.
Um Kubitscheks Motivation für die Kritik am ehemaligen FDP-Mitglied Bystron hier nicht im falschen Licht stehenzulassen, und vor allem um nicht den Eindruck der Zustimmung zu erwecken, ist es wichtig ihn ausführlich zu zitieren. „Die Grundfrage lautet: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ist die Lehre aus der Geschichte die, daß es darauf ankomme, auf der Seite der Sieger zu stehen? Oder wäre sie nicht vielmehr so zu ziehen, daß man als Deutscher gut daran täte, vom einen nicht ins andere Extrem zu schlagen, also wiederum (nur diesmal auf Seiten der Zivilisation) an einer blutigen Neuordnung beteiligt zu sein?“ Und weiter: „Die unoriginelle Strategie Bystrons und Meuthens hofft auf jene Ruhe, die der Lehrer dem Musterschüler gewähren mag. In dem auf diesem Blog bereits erwähnten und gelobten Buch Das Licht, das erlosch wiederholen die Autoren Ivan Krastev und Stephen Holmes die immer wieder ventilierte These, daß (West)Deutschland nach 1945 als besiegtes Land insgesamt zu einem die USA und die westlichen Werte nachahmenden Musterschüler geworden sei. Interessant ist, daß Krastev und Holmes dieses Verhalten auf Staatsebene so deuten, wie es auf partei- und damit innenpolitischer Ebene auf Bystron und Meuthen zutrifft. Die Autoren greifen die alte Überzeugung auf, daß mit dem Sieg von 1945 Westeuropa und mit dem von 1989/1990 im Grunde die ganze Welt hin zu einer Nachahmung des US-amerikanischen Vorbilds befreit worden sei.“

Hier wird klar, was Kubitschek wirklich will. Er verwechselt absichtlich das Massaker, welches uns tatsächlich täglich vom US-Hegemon als Zivilisation verkauft wird, mit einem Begriff von Zivilisation, nach dem Menschenwürde und Frieden demokratisch hergestellt werden soll, und das mit der Intention, diese tatsächlich im Westen geprägten Werte durch das von Faschisten bevorzugte Recht des Stärkeren auszutauschen.

Um zu schließen: Es muss klar festgestellt werden, dass die Entdeckung des Anti-Imperialismus unter falschen Vorzeichen durch den AfD-Vordenker Kubitschek eine weitaus größere Gefahr darstellt, als das gerade in Thüringen abgezogene Postengeschacher unter letztlich gleichgesinnt Profitgeilen. Denn sollte die AfD sich aus den von Kubitschek angeführten Gründen plötzlich dazu entschließen in einem zukünftigen Wahlkampf gegen die vom Feigenblatt des Auschwitz-Narratives gedeckten Hegemonialpolitik der USA und die damit verbundene NATO-Kriegsführung zu agitieren, wird sich der Skandal des Thüringer Putsches gegen Ramelow wie ein Sturm im Wasserglas im Vergleich zum folgenden politischen Landrutsch ausnehmen. Denn dann könnte die AfD zumindest für unsichere Geister glaubhaft vorgeben, für jene 55 Prozent der Deutschen zu sprechen, die laut einer Umfrage des britischen Marktforschungsinstituts YouGov wollen, dass Europa sich in Zukunft ohne die Hilfe der USA verteidigt; sie könnte zum eigenen Vorteil so tun, als ob sie jene 48 Prozent der Deutschen ernst nähme, die gar für einen teilweisen oder vollständigen Abzug von US-Truppen aus Deutschland plädieren; und sie könnte sich zur Stimme jener 54 Prozent der Deutschen verstellen, die in Bezug auf unserer europäischen Nachbarn in Russland auf Zusammenarbeit statt auf die von der NATO gerne als Abschreckung bezeichnete Aggression setzen wollen.
Die Linkspartei hätte dann allerdings wirklich Grund zum Heulen, denn dann hätte sie sich das Thema Anti-Imperialismus ganz ohne Not wie die sprichwörtliche Butter vom Brot nehmen lassen. Eine Partei, die schon das Thema Islamisierung und die damit verbundene Überfremdungsangst der Bevölkerung der radikalen Rechten überlässt, und den einfachen Wunsch der meisten Deutschen nach einem zumindest teilweise restriktiven Einwanderungsgesetz bereits als Rassismus stigmatisiert, ohne aber gleichzeitig eigene, praktisch wirksame Lösungen jenseits der Regierungslinie vorweisen zu können, wird sich das nicht auch noch leisten können. Sie wird obsolet werden. Da wird dann auch kein Blumenwerfen mehr helfen.

Kommentare (6)

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Außerstande, etwas Passendes anzufügen, dennoch voll großer Bewunderung darüber, daß diese nicht ganz leicht zu verstehenden Zusammenhänge
von Dir Uli, in diesem Artikel einigermaßen gut verständlich erklärt sind,
sendet Dir einfach zufriedene...

Außerstande, etwas Passendes anzufügen, dennoch voll großer Bewunderung darüber, daß diese nicht ganz leicht zu verstehenden Zusammenhänge
von Dir Uli, in diesem Artikel einigermaßen gut verständlich erklärt sind,
sendet Dir einfach zufriedene + herzliche
Dankes-Grüße

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Brigitte Klara Mensah-Attoh
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Toller Beitrag! War mir nicht bekannt. Passend dazu von Paul Schreyer:
https://multipolar-magazin.de/artikel/kasper-und-krokodil

Markus Böden
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Weder Enthüllung, noch Journalismus, sondern nur eigene Meinung.

Michael Hagenbeck
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Wenn man alle Fakten ignoriert kann man weiter dösen.

Uli Gellermann
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So geht Enthüllung! Danke für die gute Arbeit

Hans-Heinz Kempe
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Eine tolle Enthüllung! Super Journalismus!

Hanne Holzer
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