In wenigen Tagen wird das "Anwerbeabkommen" zwischen Deutschland und der Türkei 50 Jahre alt sein, jener Vertrag, der Millionen türkische Arbeiter nach Deutschland spülte von denen bis heute die Mehrheit der Deutschen nicht weiß, wer Kurde und wer Türke ist. Dass da zwei Sprachen existieren, zwei unterschiedliche Kulturen, wer wollte das schon wissen, in einem Deutschland, dessen Mehrheit bis heute davon ausgeht, dass die Türken alle mal "nach Hause" fahren. Die Türkei war für die Kurden nur sehr begrenzt ein Zuhause. Der Film "Walking" erzählt davon und braucht türkische Untertitel, denn er spricht Kurdisch. Das diese Sprache öffentlich genutzt wird, ist relativ neu. Auch, dass mordende Soldaten der türkischen Armee in kurdischen Dörfern gezeigt werden können, dokumentiert die Entwicklung des türkisch-kurdischen Verhältnisses positiv. Wenn jetzt auch noch der Film seiner inhaltlichen Qualität in der Form gefolgt wäre, gäbe es Grund zu noch mehr Freude.

Eine völlig ungeteilte Freude schenkte die Schauspielerin Selen Uçer dem Publikum. Im Film "Can" hatte ihr der eigene Ehemann ein Adoptivkind angehängt, weil ein Mann natürlich einen Sohn haben muss, auch wenn er zeugungsunfähig ist. Sie wehrt sich gegen diese Zwangsmutterschaft und erliegt dann doch dem Charme des kleinen Jungen. Auf dem Weg zu diesem Happy End gibt Selen Uçer eine wunderbare Vorstellung von ihrer Gestaltungskraft und bewegt sich charakterstark als Frau "von unten" in einem neureichen Milieu, das ziemlich eindeutig als Spiegel für die neuen türkischen Eliten gelten darf. Der Film, der scheinbar nichts anderes liefert als eine private Tragödie, darf durchaus als Kritik am türkischen Machismo verstanden werden, der seine Verstärkung in den Gewinnern der neuen Markt-Radikalität findet. Und deren Sprache heißt Macht.

Ein kluger und gemeiner Höhepunkt des Unten-Oben-Spiels fand sich im besten Film des Antalya-Festivals "Nar" (Granatapfel). Ausgerechnet in den Haushalt von zwei Lesben bricht eine dicke Frau vom Stadtrand ein. Sie fordert von der Klinikleiterin, die dem Haushalt vorsteht, dass man ihre Tochter wieder rehabilitiert, die wegen eines Kunstfehlers in eben diesem Krankenhaus ihr Baby verlor und der man dann auch noch die Schuld daran zuschob. Das ist ein furioses Theater von fast unerträglicher Spannung, dem der Zuschauer ausgesetzt wird. Und hier stimmt alles: Schauspieler, Regie (Ümit Ünal) und Drehbuch. Weil es für den türkischen Film immer noch ungewöhnlich ist, ein lesbisches Paar zu zeigen, ist es geradezu brillant zu sehen, dass lesbische Paare so funktionieren wie heterosexuelle auch: Im Konfliktfall eben gar nicht. Der zahlende Teil, die Ärztin, erklärt dem ausgehaltenen Teil, der jungen Schauspielerin wie die Welt funktioniert, nämlich durch Macht und Geld und stellt so eine Normalität her, die dem "Geheimnis" lesbischer Liebe sehr schön die Luft rauslässt. Es ist zu hoffen, dass dieser Film seinen Weg nach Deutschland findet.

Ein Film den Deutschland nicht braucht, der aber die Zuschauer im Festivalkino zu standing ovations provozierte, war "Zenne". Die Ovationen galten dem Anliegen des Films, der die schwere Lage der Schwulen in der Türkei thematisierte und sich gegen die unsägliche Praxis der Militärbehörde wandte, die zwar Schwule vom Kriegsdienst befreit, aber nur dann, wenn sie sehr eindeutige Fotos von sich und einem Partner vorlegen. Deshalb war der Beifall, der auch der Erinnerung an einen vom eigenen Vater ermordeten Schwulen galt, in hohem Maße politisch korrekt: Noch vor fünf Jahren wäre es kaum möglich gewesen, einen Film zu diesem Thema zu zeigen. Leider mussten die beiden Regisseure auch noch den Afghanistankrieg, eine junge Frau, die ein Kind haben will ohne verheiratet zu sein, die pastösen Träume eines Tänzers einbauen und was ihnen gerade sonst noch so einfiel. Wer alles sagen will, behauptet eine alte Filmemacher-Weisheit, sagt gar nichts.

Dass die Jury des Festivals den Film WE WILL SEE GOOD DAYS von Hasan Tolga Pulat zum besten diesen Jahres erklärte, ehrt einen Film, in dem das Geld zur Flucht in eine besseres Leben eine Hauptrolle spielt: Immer noch sind die Völkerwanderungen der Armen zu den Reichen eine wichtiges Thema für die Kunst, denn ihnen liegt die Kunst des Überlebens zugrunde. Während der 50. Jahrestag der ersten türkischen "Gastarbeiter" für manche eine nostalgische Rückschau sein mag - andere werden den Tag vielleicht bitter erinnern - sind die Zeiten für die deutsche Metro-Kette von purem Glück erfüllt: Der Konzern hat jetzt schon die 24. Filiale in der Türkei eröffnet. It will see good days: Die Wachstumsraten liegen bei 20 Prozent und die Gewinne sollen saftig sein. So ist es denn für die Metro-Entscheider und ihre Partner ziemlich egal, wer welche Sprache spricht. Die Sprache des Geldes wird überall verstanden.