Ein wenig hat man sich daran gewöhnt: Wir sind schon so lange in Afghanistan. Und wie fast jeder weiß, dass wir da nicht sein sollten, weiß auch fast jeder, dass wir dort bleiben werden: Offiziell bis 2014, vielleicht, kann sein länger. Jeden Tag sterben am Hindukusch Menschen. Ja, ja, im Straßenverkehr auch. Mitten in diese schleichende Gleichgültig schrillt ein Buch in den Schlaf der Gewöhnung: Ein Parlaments-Krimi von drei Frauen und einem Mann geschrieben. Von solchen, die nicht hinnehmen wollen, dass Kriege zum deutschen Alltag gehören und ihre Arbeit mit dem Titel "Afghanistan - So werden die neuen Kriege gemacht" dem siechen deutschen Parlament, das mehrheitlich und routiniert immer wieder dem Krieg zustimmt, um die verschmalzten Ohren haut.
Dass vor bald zehn Jahren der Parlamentsbeschluss zur Teilnahme am Krieg nur per Losentscheid zu haben war, ist nur eine der grotesken Informationen, die das Buch bereit hält: Weil immerhin acht Grünen-Abgeordnete dem Start zum Morden in Afghanistan nicht zustimmen wollten, so aber die Mehrheit der Regierung Schröder-Fischer gefährdet gewesen wäre, mussten unter den acht Aufrechten das Los entscheiden: Wer eine Niete zog, sollte dem Krieg zustimmen. Das machten die Nieten-Abgeordnete dann auch brav. Und natürlich begann auch dieser, wie jeder gute Krieg, mit einer Lüge: Er sei eher eine Polizeiaktion, man wolle mal eben diesen Osama Bin Laden da rausholen und dann aber wieder nach Hause. Es sollte nicht die letzte Lüge sein, die größte auf der deutschen Seite ist jene, nach der die Sicherheit der Bundesrepublik am Hindukusch verteidigt werden soll. Wenn schwere Betrügerei mit dem Tod bestraft würde, dann läge Peter Struck schon lange auf einem Friedhof.
Die AutorInnen um den Bundestagsabgeordneten der LINKEN Wolfgang Gehrcke - Christel Buchinger, Jutta von Freyberg und Sabine Kebir - nehmen alle das Grundgesetz ernst und außerdem sogar das Parlament. Darin unterscheiden sie sich von der Mehrheit im Deutschen Bundestag, die sich gern selbst entmündigt und alle Jahre wieder der Fortsetzung des zumeist "Einsatz" genannten Krieges zustimmt: Mal musste es einfach sein, um den Terror abzuwehren, der nie von Afghanistan ausgegangen ist. Dann wieder ging es darum, eine gute Regierungsarbeit zu sichern, die Arbeit einer Regierung, die nie demokratisch gewählt wurde, dafür aber immer korrupt war. Und wenn das nicht zog, dann handelte es sich um die Rechte afghanischer Frauen. Mit der ironischen Zwischenüberschrift "Bomben gegen Burkas" verweisen die AutorInnen den Frauen-Ansatz in das Reich der Billigpropaganda und erinnern unter anderem an das Titelblatt des Time-Magazin, das eine Afghanin mit abgeschnittener Nase zeigt und kommentierte: "Das passiert, wenn wir abziehen". Dass die Story auch die deutschen Abschreiber-Medien zierte, daran kann man sich gut daran erinnern. Nicht erinnern kann man, dass den Kopierern aufgefallen wäre, was kühl im vorliegenden Afghanistan-Buch zu lesen ist: Die tragische Geschichte der armen Frau geschah zwischen 2003 - 2009. Also mitten im "Einsatz" der NATO-Truppen.
"Die Bekämpfung des Terrorismus", sei, so erzählt Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, "in erster Linie ein Freiheitsthema" und deshalb fragt sich der FDP-Mann, . . . was bedeutet denn das für Millionen von deutschen Staatsbürger, die frei und und sicher irgendwo in der Ferne ihren Urlaub verbringen wollen . . ." Freizeit statt Terrorismus? Im Buch wimmelt es von solch unglaublichen Idiotien: Vom Einsatz der AWACS-Flugzeugen, der noch im Juli 2009 dringend erforderlich war und dann an einer Überflug-Genehmigung scheiterte. Über das präpotente "Wir", das zum Ausbau staatlicher Strukturen in Afghanistan kommen will, als ob "uns" das Land und das Volk dort gehören würden. Bis hin zu einen "Fortschrittsbericht" zu Afghanistan, den die Bundesregierung 2010 vorlegte, obwohl er Rückschrittsbericht hätte heißen müssen. Dass zu dieser elenden Blindheit gegenüber der Wirklichkeit, dieser verantwortungslosen Phrasendrescherei von Parlament und Regierung deutsche Medien gehören, deren arrogante Ignoranz die Begleitmusik liefern, sei mit einem Beispiel aus dem vorliegenden Buch belegt. Josef Joffe, Herausgeber der "Zeit", schreibt entschuldigend zum Krieg: "Wer handeln muss, macht sich schuldig". Jeder ordentliche Serien-Killer könnte dem jederzeit zustimmen.
Dem klugen, gründlichen und sprachlich angenehmen Buch fehlt nichts. Bis vielleicht auf einen Ausblick. Auf den Tag, an dem ein anderes, ein wirkliches Parlament, die Afghanistan-Unterlagen-Behörde konstituiert und jedermann aus den Akten ersehen kann, wer für die Toten verantwortlich war. In- und außerhalb des Parlaments. Vielleicht wird sie dann Anti-Anti-Terror-Behörde genannt werden und ein jeder im Öffentlichen Dienst muss sich dort einen Persilschein holen oder eben keinen bekommen. "Afghanistan - So werden die neuen Krieg gemacht", würde in diesem Amt ein Grundlagenbuch sein.