Ich hatte nie moralische Bedenken hinsichtlich der Art und Weise, wie Promo-Leute ihre Arbeit machten. Alles in allem wollte ich ein System, in dem die Leute, die an einen Künstler glauben, diesen auch ins Radio kriegen, unabhängig davon, was die Marktforschung sagt.
Danny Goldberg, Unter Genies
Es gibt Musiker, deren Schöpfungen sind wie Supermarktregale. Ganze Generationen bedienen sich an ihren Ideen. Johann Sebastian Bach war so einer im Barock. Für den Hardrock dürfte es Led Zeppelin sein.
Danny Goldberg hat die Jungs promotet, als ihre Kunst im Zenit stand und Bonzo (John Bonham) ab und an ein TV-Gerät aus dem Hotelfenster schmetterte. Das muss Anfang der Siebziger gewesen sein. Noch heute ist Goldberg ein wenig entsetzt, weil er damals auf Druck von Peter Grant lanciert hatte, Led Zeppelins Konzert sei das Größte für Atlanta seit „Vom Winde verweht“. Ironie ist nicht seine starke Seite und dieser Schmachtfetzen ist ihm heilig.
Man kommt schwer rein in das Buch. Als ich „Unter Genies“ anlas, dachte ich bei mir: Was soll das? Der junge Danny hat Woodstock besucht und der alte Goldberg gönnt uns kein Zitat aus seinem „überschwänglichen“ Festivalbericht für das Billboard-Magazin. Auch der Vietnamkrieg hat nicht stattgefunden. Aber ein Manager tickt eben anders als ein Fan. Verkaufszahlen sind alles, Inhalte eher bedenklich.
Goldberg gibt Variationen zum amerikanischen Traum – er ist auf der Jagd nach dem Jackpot. Und die Hauptsorge aller singenden Cowboys lautet: Wie melke ich das stramme Euter des Rock ’n’ Roll?
Das Anekdotische kommt dabei nicht zu kurz, jedoch müssen die LeserInnen auch eine Menge Konzerntratsch aushalten. Das nimmt uns nicht Wunder, schließlich avancierte Goldberg zum Geschäftsführer mehrerer Plattenfirmen. Dafür erhalten wir eine klare Antwort auf die bewegende Frage: Wie funktioniert das Rockbusiness?
Durch Manipulation.
Die schmierigen kleinen PR-Tricks der Frühzeit sind sehr erheiternd zu lesen. Die faulen Kritiker der Musikzeitungen werden zugetextet, ahnungslose Late-Night-Showmaster bequatscht und angesagte Radio-DJ’s mit Koks bestochen. Schon in den Sechzigern muss sich die Plattenarchivarin des Senders die aktuellen Scheiben anhören und markiert jene Songs, die „schmutzige Texte“ haben.
So ziemlich jeder Sound lässt sich als Konzernrock vermarkten.
Gegenwärtig assoziieren wir den Olymp der Rockmusik mit Rihannas rassigem Parlando. Perfektes Babyface und krasse Schenkel sind unabdingbar. Wer die nicht hat, der sollte immerhin voll fett gestylt sein und entpickelt wie die Retortenbraut Lady Gaga. Naturbelassene Typen ähnlich Jimi Hendrix oder Janis Joplin geraten heute bloß in die Casting-Show, um von Dieter Bohlen angenässt zu werden.
Patinierte Rock-Ikonen und skurrile Randfiguren tauchen in Goldbergs Buch reichlich auf, auch wenn der Autor ihnen manchmal nur einen Nebensatz gönnt. Er begegnet mehr oder weniger wichtigen Leuten, angefangen von dem bejahrten Plattenmogul Ahmet Ertegun, über die unverwüstliche Sharon Arden, die jetzt als Mrs. Osbourne das Hundefutter bei MTV verdient, bis hin zu Zack de la Rocha von Rage Against the Machine, einem der Götter meines Sohnes.
Einmal gelingt Goldberg ein Geniestreich. Er promotet Ende der Siebziger, als der alte Blues aus der Mode gekommen war, die Gruppe Foghat („Fool for the City“) und organisiert für die Boys ein Konzert, in dem sie mit Muddy Waters, John Lee Hooker, Otis Blackwell, Johnny Winter und Honeyboy Edwards jammen. Wer so was stemmt, dem sind alle Sünden vergeben. Nur damit die Rührung nicht überbordet: Das war Promo, nicht Traditionspflege!
Dann glückt Goldberg das Größte. Er zieht Nirvana an Land. Sein Statement zu Kurt Cobain: Als sein Manager habe ich einen ordentlichen Job gemacht. Als sein Freund habe ich versagt. Wohl wahr.
Auf seine langjährige Klientin Courtney Love singt Danny ein Loblied. Gut gelogen?
Manchmal produziert der Autor leckere Sätze wie diese: Das (Teen Spirit-) Video profitierte … von der Authentizität der glasigen Blicke der Fans.
Angesichts der unumschränkten Herrschaft, die MTV damals über das Musikgeschäft ausübte, war ich nur allzu bereit, ihnen in den Arsch zu kriechen.
Bescheiden schreibt er von sich: Ich selbst machte mir einen Namen als einer der wenigen Entscheidungsträger im Rockbusiness, die sich für fortschrittliche politische Ideen interessierten. Es folgen ganz nette Einzelheiten über Rock und Politik in den USA. Wenn Jackson Browne verkündet: „Wir brauchen einen Gitarristen im Kongress“, dann hat das für mich etwas Irres.
Die Teilnahme an der Anti-Atomkraft-Kampagne ehrt Goldberg. Aber auch der Protest ist ein Geschäft. Warner Bros. soll den No Nukes-Konzertfilm verleihen. Warum hat mir nie in den Kopf gewollt, das Atombomben etwas Gutes sind, Atomkraftwerke dagegen schlecht? Jürgen Trittin ist uns eine Erklärung schuldig.
Einzigartig die Story von der Vermarktung des krebskranken Folkrockers Warren Zevon, eine surreale Mischung aus Zynismus und Mitgefühl. Alles war ganz einfach – bis auf die Tatsache, dass er bald sterben musste. Zevon selbst geht mit seinem Leiden an die Öffentlichkeit, um das Abschiedsalbum in die Charts zu katapultieren. Jordan (Warrens Sohn) half ihm, seinen Drogenkonsum zu reduzieren, stellte eine Jamaikanerin ein, die ihm aus der Bibel vorlas… So sterben Stars.
Fast hätte ich geschrieben, dies sei der ziemlich ehrliche Bericht eines Insiders über Lichtgestalten und Schattenseiten der Rock ’n’ Roll-Szene, aber Promi-Erinnerungen vermengen gern Dichtung und Wahrheit. Jedenfalls bleibt es eine bemerkenswerte Beichte, denn sie legt die Mechanismen des Rockbusiness schamlos offen.
Zuletzt hat mich seltsam berührt, dass im Buch kein ernst zu nehmendes musikalisches Fachwort auftaucht. Aber vielleicht ist ja Rock ’n’ Roll gar keine Musik, sondern eine Weltanschauung.