Über das hiesige Atomkeller-Museum textet die Broschüre der Stadt Haigerloch in grausig schwäbischem Humor: "Schweres Wasser statt kühles Bier". Denn dort, im Keller des Schwanenwirt, so ist in "Die Nacht der Physiker" von Richard von Schirach nachzulesen, versammelte sich 1945 die Elite der deutschen Atomforschung, um an einer deutschen "Wunderwaffe" zu arbeiten. Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker versuchten, gemeinsam mit anderen Forschern, in diesem Keller in den letzten Kriegstagen, als andere Forschungsstandorte zerbombt wurden, den ersten deutschen Atomreaktor in Gang zu bringen. Kühl und sprachgewandt zugleich gelingt dem Autor eine Sorte von historischem Wissenschaftskrimi, der seinen dramatischen Hintergrund auch dem Wissen verdankt: Es ist ihnen nicht gelungen, den Zauberlehrlingen im Dienste Hitlers, die gefährliche Waffe für den "Endsieg" in Stellung zu bringen.

Von Schirach beschreibt nicht nur die theoretischen und technischen Mühen, mit denen die Forscher anfänglich in Berlin, später in Schwaben, bei der Entwicklung der Kernspaltung kämpften. Er skizziert auch die relative Unbekümmertheit jener Wissenschaftler, die sich - anders als die Physiker Albert Einstein und Erwin Schrödinger, die früh und unmissverständlich die Nazis ablehnten - dem Dritten Reich andienten. Es waren Leute wie Heisenberg, im deutsch-nationalen Denken befangen, der sich sicher war: "Deutschland braucht mich". Nicht sonderlich darüber nachdenkend, welches Deutschland ihn denn für was brauchte.

Das Nachdenken begann bei den Atomwaffen-Physikern eigentlich erst, als sie in den letzten Kriegstagen von der amerikanischen Spezialeinheit "Alsos" aus der französischen Besatzungszone entführt und in das englische Landgut "Farm Hall" verbracht wurden: Sie und ihr Wissen sollten keinesfalls den Sowjets und auch nicht den Franzosen in die Hände fallen. Gestützt auf die Abhörprotokolle jener Internierungszeit, entfaltet Richard von Schirach das seltsame Panorama deutscher Spitzenwissenschaftler, schwankend zwischen gekränkter Eitelkeit, Rechtfertigungsdrang und Langeweile, das noch heute eine Mischung aus zynischer Lachlust und düsterer Beklemmung auslöst: Um so ziemlich alles machten sich die Wissenschaftler Sorgen. Um eine Mitschuld, eine Mitverantwortung an den Naziverbrechen aber kaum.

In einer parallelen Montage erzählt von Schirach vom "Manhattan-Projekt", jenem militärwissenschaftlichen Vorhaben, das die USA anstrengten, um die Atombombe noch vor den Deutschen zu entwickeln. Auch hier ist das Wissen des Lesers, der den Ausgang des Wettlaufes kennt, ein Beschleuniger der Spannungsteilchen. Zumal diese Konkurrenz wie aus der Sicht der deutschen Kernphysiker beobachtet wird, die von nichts wissen und, als sie dann vom Sieg der Amerikaner erfahren, in tiefe Depression verfallen. Daran, dass auch die Produktion der amerikanischen Atombombe, besonders deren Abwurf über Nagasaki, zu einem Zeitpunkt, als Japan längst kapitulationsreif war, ein Verbrechen gewesen ist, lässt der Autor keinen Zweifel.

Nach der Internierung, mit der Gründung der Bundesrepublik und ihrer Weißwaschung als amerikanischer Bündnispartner im Kalten Krieg, stiegen die Physiker dann alle auf, als wäre nichts gewesen. Typisch für diese Karrieren war die Werner Heisenbergs, der zum Direktor des Max-Planck-Institutes avancierte, der dem Vertreter der Wiederbewaffnung, Konrad Adenauer, nahe stand und wohl auch deshalb sein Großes Verdienstkreuz mit Stern am Schulterband tragen durfte. Auch wenn Heisenberg 1957 gemeinsam mit anderen Physikern den Göttinger Aufruf gegen die militärische Nutzung der Atomkraft unterzeichnete, blieb er doch jenem deutschen Bürgertum verbunden, das seine Mitschuld an der Nazibarbarei nie eingestand. Als aufbegehrende Studenten Ende 1960 sein Institut zeitweilig besetzten, fiel ausgerechnet ihm der Vergleich mit der nationalsozialistischen Studentenbewegungen in den 1930er Jahren ein.

Der Eintritt in das Haigerlocher Atomkeller-Museum beträgt für Erwachsene 1,50 Euro. Auf die Frage, ob man für den Preis auch eine Prise Radioaktivität haben könne, soll der Museumswärter gesagt haben: "Des koscht extra."