"Eines Morgens bricht Jakob überraschend in die Stadt auf, um seinen drei erwachsenen Kinder etwas Wichtiges mitzuteilen". So beginnt die filmische Erzählung "Die Besucher" von Constanze Knoche. Jakob, der Vater, für den sich der Mensch über seine Arbeit definiert, könnte das Wichtige auch per Telefon oder Brief mitteilen. Aber Jakob ist von der alten Schule und fände es verantwortungslos wenn er die schlechte Nachricht nicht persönlich überbringen würde, nämlich dass er plötzlich arbeitslos geworden ist - und das in einer Firma, die er als Chemiker selbst mit aufgebaut und mit anderen zusammen einst geleitet hatte. Denn aus der Schlechten Nachricht ergibt sich zwangsläufig, dass er die nun fast Dreißigjährigen nicht weiterhin finanziell unterstützen kann.
Gespielt wird der Vater von dem Mann, von dem viele glauben, dass er in Venedig lebt, weil er dort seit nunmehr 10 Jahren den Commissario Guido Brunetti in der Krimi-Reihe der Bestsellerautorin Donna Leon verkörpert: Uwe Kockisch. Der kam tatsächlich von weit her (allerdings aus Madrid), um bei der Premiere von "Die Besucher" im Babylon-Kino in Berlin-Mitte dabei zu sein. Gestartet wird das sehr wirklichkeitsnahe und gerade deshalb zu Herzen gehende Familien-Drama vom Basis-Film Verleih am kommenden Donnerstag.*
Kockisch sagte in einem Interview: "Als Vater will man ja immer, dass die eigenen Kinder nicht das Gleiche durchmachen, was einen selbst geschmerzt hat. Und sei es, dass man das festmacht an der finanziellen Unterstützung. Dann werden die Kinder verhätschelt und kommen erstmal nicht in die Gänge". Er selbst allerdings würde niemals dem oft gehörten Vorschlag folgen, der empfiehlt, dass man Kinder, die den Eltern jahrelang auf der Tasche liegen, einfach aus dem Nest schubsen soll.
Im Film "Die Besucher" ist Karla, die Älteste der drei erwachsenen Kinder, die einzige, die schon Geld verdient. Ihre Arbeit als Gärtnerin, von ihr selbst zwar sehr geschätzt wird, genießt als nichtakademischer Beruf bei der Familie nur wenig Anerkennung. Andereseits sieht es ganz so aus als ob ihre beiden jüngeren Geschwister mit der Zeit zu typischen Vertretern der Generation "Unbezahlte Praktika, Zeitverträge, Niedrig-Honorare" gehören könnten. Zu jenen jungen Leuten, die nach abgeschlossener Ausbildung immer noch auf die Finanzspritzen der Eltern angewiesen sind.
Aber bisher haben es ihre Geschwister noch nicht einmal zu definitiven Ergebnissen in ihrer Ausbildung gebracht: Arnolt, 28 (gespielt von Jakob Diehl, dem Schauspieler, Komponist und Bruder von August Diehl) fertigt lieber eindrucksvolle Kohlezeichnungen an wie z. B. ein erstaunlich gutes Portrait seines ihm so unnahbar erscheinenden Vaters anstatt sein Chemie-Studium zum Abschluss zu bringen, das er wahrscheinlich nur auf Anraten seines Chemiker-Vaters begonnen hat. Und seine strohblonde jüngere Schwester Sonni, 27, frech und witzig gegeben von Anne Müller (bekannt aus Detlev Bucks "Same same but different" 2009), hat in Constanze Knoches Film ein Verhältnis mit ihrem 30 Jahre älteren BWL-Professor mit dessen neoliberalen Floskeln sie sich zu schmücken versucht. Der aber lässt sie in der Uni in Rollenspielen wie etwa „Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer“ im Vorlesungssaal antreten, um sie dann vor ihren Kommilitonen wiederholt zu erniedrigen.
Den Titel "Die Besucher" haben die Regisseurin Constanze Knoche, Absolventin der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg und ihr Drehbuchautor Leis Bagdach (geboren in Köln, Studium der Theaterwissenschaft in Leipzig) deshalb gewählt, weil sich das Familienleben in ihrem Film nur noch in seltenen Stipp-Visiten abspielt. Als der Vater nach vielen Jahren sich aus seinem nur etwa 100 km entfernten Ort erstmals wieder nach Berlin aufmacht, hat keines seiner drei Kinder Zeit für ihn. Arnolt macht sich aus dem Staub indem er hinter dem Rücken von Vater und Sonni aus dem Bus aussteigt, Sonni will nicht, dass ihr Vater sie bis an die Uni begleitet, weil sie sich ihres "alten" Vaters wegen schämt, anstatt dieses wegen ihres ebenso alten Professor-Liebhabers zu tun.
Als spät abends in Berlin dann doch noch ein gemeinschaftliches Essen stattfindet, ist auch die Mutter (Corinna Kirchhoff) inzwischen eingetroffen. Von ihr hatte sich der Vater frühmorgens vor seiner recht spontanen Berlin-Reise nicht einmal verabschiedet. Bei diesem Abendessen wird Sonni sich sogar dazu versteigen den anderen mitzuteilen, warum ihr Vater ihr so peinlich ist, dass sie sich nicht mit ihm zusammen sehen lassen mag. Auch ein zweites Geheimnis wird an diesem Abend enthüllt: Die Mutter hat seit Jahren ein Verhältnis mit dem Nachbarn, der sie deshalb auch gern "so fürsorglich" nach Berlin gefahren hat.
Constanze Knoche hat es schon in ihrem Erstling verstanden sehr beeindruckende Schauspieler-Persönlichkeiten, die auch durch Theater-Inszenierungen schon bekannt wurden, zusammenzubringen und so einzusetzen wie sie sich das vorgestellt hat. Dabei hat sie sich nicht gescheut einem Kockisch nach einer durchgespielten Szene zu sagen: "Das ist absolut Schrott, das geht gar nicht." Aber nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint die Film-Familie dann doch noch zusammengewachsen zu sein.
Jedenfalls ist es dem Autoren-Team Knoche und Bagdach gelungen eine Familienaufstellung gleichzeitig realistisch und gefühlvoll in Szene zu setzen: Zwischen Vater und Mutter, die noch in der DDR aufwuchsen und Kindern, die die das Land ihrer Eltern kaum noch kennen gelernt haben. Dankenswerterweise reiten die Autoren nicht darauf herum, dass der Vater letztendlich seine Arbeit verloren hat auf Grund der gesellschaftlichen Veränderungen, die durch den Systemwechsel hervorgerufen wurden und die schlicht fast alle DDR-Erfahrungen und -Lebenspläne für null und nichtig erklärten. Nur ein Mal äußert der Vater sehr vorsichtig, dass er seine Arbeit nicht nur für die Familie geleistet hat, sondern auch für das Gemeinwohl der damaligen Gesellschaft.
Der Film endet so überraschend wie er mit Besuch von Jakob begonnen hat. Gerade noch waren alle mit Allem zerfallen und plötzlich läuft alles wie geschmiert: Die Eltern hören sich nach Jahren des Schweigens und Verschweigens gegenseitig zu. Die bisher aufeinander eifersüchtigen Kinder versuchen sich gegenseitig zu akzeptieren. Es ist geradezu rührend wie alle drei zusammen wieder in ihrem alten Kinderzimmer übernachten, während sie auf die Rückkehr der Eltern aus Berlin warten . . . Ein Happy End, das allerdings keineswegs verspricht, dass alles so bleibt wie es gerade ist. Das wird Constanze Knoche uns vielleicht in ihrem nächsten Film anvertrauen.
* Am 31. Januar 2013 in diversen Berliner Kinos und gleichzeitig in vielen anderen deutschen Großstädten.