"Die Hälfte der Juden der Welt", schreibt Moshe Zimmermann, "leben in den USA" und stellt so die Staatsdoktrin Israels in frage, nach der das jüdische Volk einen Ort, also Israel, braucht, wo die Juden ihr genuines Recht, jüdisch zu sein, gesichert finden. Es gibt längst mehr Orte, an denen das möglich ist. Kühl und faktisch argumentierend geht der israelische Historiker mit den Mythen seines Landes um. In seinem jüngsten Buch, "Die Angst vor dem Frieden", erzählt er auch von der "Straße der Apartheid", einer Landstraße in Israel, die nicht mehr von Palästinensern befahren werden darf. Es gib leider nicht nur die eine. Auch von israelischen Kommunen weiß er zu berichten, die Gemeindesatzungen haben, wonach nur Personen mit "zionistischer Einstellung" dort wohnen dürfen. So schafft man araberfreie Zonen.
Zimmermann ist sich sicher, dass Araber und Israelis in einem "permanenten Angst- und Spannungszustand" leben, der sie am Denken hindert. Unter anderem zitiert er aus dem Buch des jetzigen israelischen Ministerpräsidenten (Ein Platz an der Sonne): "Im Nahem Osten geht Sicherheit vor Frieden und Friedensverträgen". So bleibt der Unfrieden ein Programm, das ständig neue Unsicherheit produziert. An diesem Programm, so Zimmermann, haben immer die ein Interesse, die damit ihre politische Position behaupten können. Und weil er Israeli ist, setzt er sich weniger mit der Hamas, als mit seinem eigenen Regime auseinander. Das findet man in Israel gerne paradox. Aber an der politischen Bewegungsform der Hamas kann der Autor wenig ändern, an den Positionen seines Landes, so hofft er, schon.
Um seiner Regierung ein gewisses Maß an Vernunft beizubringen, erinnert Zimmermann daran, dass israelische Militäraktionen mit schöner Regelmäßigkeit nur weiteren Terror als Antwort gefunden haben. Und neuer Terror neue Militäraktionen und sofort. Längst ist in Israel ein politisch-militärischer Komplex entstanden, der an einer Wagenburg-Mentalität ein eigenes Interesse hat. In diesem Zusammenhang weist der Historiker auf die Friedensinitiative der arabischen Liga aus dem Jahr 2002 hin, die eine Normalisierung der arabischen Staaten zu Israel vorsah, wenn es sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen würde. Der Vorschlag wurde als "typisch arabische Taktik der Täuschung" erst gar nicht in Erwägung gezogen. Als die Initiative fünf Jahre später wiederholt wurde, lehnte man sie erneut ab.
In der jetzigen, von Benjamin Netanjahu geführten Regierung sieht der Autor besonders deren Außenminister, Avigdor Liebermann, als einen Araber-Hasser. Liebermann denkt laut über das Bombardement Irans nach, hat schon mal gedroht den Assuan-Staudamm zu zerstören und repräsentiert immerhin die drittstärkste Partei im israelischen Parlament. Dass zum Beispiel im Holocaust-Museum Yad-Vashem die Texttafeln nur auf Hebräisch und Englisch, nicht aber auf Arabisch abgefasst sind, obwohl das immerhin die Sprache eines Fünftels der Bevölkerung ist, zeigt eine der vielen, alltäglichen Rassismen. Als ein arabischer Abgeordneter zur alljährlichen Gedenkveranstaltung in Auschwitz mitfahren wollte, bekam er Drohbriefe, der Likud-Abgeordnete Danon wollte ihn sogar aus der Delegation ausschliessen. Für Zimmermann ein weiterer Beweis dafür, dass die Denkschablonen notwendig die Angst vor dem Frieden stützen.
Moshe Zimmermann ist ein kritischer Begleiter seiner Gesellschaft, der nur in einer echten Zweistaatlichkeit ein dauerhaft friedliches Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern sieht. Solche wie er gelten der israelischen Mehrheit als linke Spinner. Der letzte große dieser Kategorie war Ytzak Rabin. Seit seiner Ermordung gibt es für friedliche Positionen in der israelischen Gesellschaft keine Mehrheiten mehr. Dem Buch von Zimmermann, das "Das israelische Dilemma" beschreibt, ist Erfolg zu wünschen. Auch in einem Deutschland, dessen philosemitische Grundhaltung längst nicht mehr zur Problemlösung im Nahen Osten beiträgt.