Es ist ein bitterböses Sprachspiel, wenn Michael Verhoeven seinen neusten Film mit »Der unbekannte Soldat« titelt. Im ganzen Land gibt es ja die Denkmale für den jeweiligen »unbekannten Soldaten«. Gemeint ist aber jener weniger bekannte deutsche Soldat, der im Osten an Kriegsverbrechen der Wehrmacht beteiligt gewesen war. Verhoevens Film, der im Gefolge der heftig diskutierten »Wehrmachtsaustellung« entstand, ist ein klarer, klug bebilderter Beitrag in dieser Debatte.

Sehr früh im Film, noch beschäftigt er sich kaum mit der Wehrmacht und ihrer Rolle im Vernichtungskrieg gegen den »jüdischen Bolschewismus«, wird aus einer Rede des Bundeskanzlers Adenauer aus dem Jahr 1951 zitiert, in der er sich Sorge macht, dass »der Ehre der früheren deutschen Wehrmacht» Unrecht geschehen könne. Es wird ein Rätsel bleiben was der damals gerade erst beendete große deutsche Krieg mit Ehre zu tun gehabt haben könnte, aber über die allgemeine Ehrlosigkeit eines Angriffskrieges, eines Überfalls auf andere Völker hinaus, haben sich Teile der Wehrmacht zusätzlich besudelt. Das bezeugt Verhoevens Film.

Die Versuchung, während des Films die Augen zu schließen, ist groß. Die Bilder der Massenerschießungen, die nackten, ausgelieferten Frauen und Kinder in hastig ausgehobenen Gruben, die lachenden Soldaten unter frisch Gehenkten, der eifrig von Amateuren fotografierte Tod, der ein Meister aus Deutschland ist: Man mag das alles nicht sehen und muss es doch. Draußen vor der Ausstellung sehen wir im Film die jungen Gesichter von NPD-Anhängern, die sich die Mühe eigenen Denkens sparen wollen und die Alten, die Kriegsteilnehmer, die natürlich nie dabei waren oder wenn dann nur im Befehlsnotstand und die allfällige Formel beten: »Es muss mal ein Ende haben«.

Der einzige von denen, die glauben, dass die Ausstellung eine »Verunglimpfung des Andenken Verstorbener ist«, dem man länger als drei Sekunden zuhören mag ist ein Schulfreund des Regisseurs. Er blättert in den Fotos des gefallenen Vaters, liest aus dessen Kriegspost und vermisst ihn immer noch, den Mann, den er als Kind kaum kennen lernte. Natürlich will er den nicht verunglimpft sehen. Das mag anrühren, eine Einsicht ist trotzdem schwer zu gewinnen, denn die Ausstellung handelt von Geschehnissen, die diese oder jene Truppenteile betreffen und nicht »die« Wehrmacht oder »den« Soldaten. Im Gegenteil, sie erzählt auch von Soldaten, die sich den Mörder-Befehlen verweigert haben, was die Taten anderer noch widerlicher erscheinen lässt.

Gewiss haben die Nazis und deren willige Helfer im grauen Rock ihre Mörderei im Osten auf die Juden gezielt, aber natürlich hatten die Herren auch andere »Untermenschen« im Visier. Es ist ein wenig sonderbar, dass der Film diese anderen Opfer nicht erwähnt. Bereits im sogenannten »Kommissar-Befehl« wurde Mitte 1941 vom Oberkommando der Wehrmacht festgelegt, dass die politischen Offiziere der Roten Armee »grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen« sind. Auch das Niederbrennen ganzer Dörfer und das Erhängen von Geiseln als Reaktion auf sowjetische Partisanen hatte mit dem Judenmord nur in sofern zu tun, als bei den Partisanen, neben ungläubigen Russen auch jüdische Russen kämpften.

Verhoevens Dokumentarfilm gründet auf der »Wehrmachtsausstellung« und geht über sie hinaus. Insbesondere die Historiker und Politiker, die Verhoeven zu Wort kommen lässt, erweitern das Thema und vertiefen die Debatte. Der Münchner Oberbürgermeister zum Beispiel, erinnert im Zusammenhang mit den Denkmalen für unbekannten Soldaten daran, dass nur wenig an die Deserteure erinnert, dass die bis heute am Rande der historischen Aufarbeitung stehen. Ein Denkmal des »Unbekannten Deserteurs" wäre nur folgerichtig. Stundenweise könnte man dort den ehemaligen Marinerichter Filbinger, der in den letzten Kriegstagen noch zwei Todesurteile gegen Fahnenflüchtige aussprach, aus rein pädagogischen Gründen anketten. Denn immerhin relativiert der frühere Ministerpräsident diese Urteile auf seiner Website in unappetitlicher Weise bis heute. Aber das wäre dann ein anderer Film.