Es ist wie aus dem Handbuch: Soldaten stürmen ein ärmliches Haus, die Bewohner werden wie Vieh herausgetrieben. Die schlecht gekleideten Zivilisten sprechen eine fremde Sprache und haben einen fremden Glauben. Die Soldaten suchen Waffen. Alle jungen Männer, die vor dem Haus aufgereiht werden, stehen im Generalverdacht. Einer von ihnen, der seinen Namen in seiner Sprache sagt und ihn nicht in der fremden aussprechen will, wird in einen Verschlag getrieben, gefoltert und dann aufgehängt. So macht man Terroristen. Mit dieser Menschen-Jagd-Szene beginnt Ken Loachs Film "The wind that shakes the barley", und sie spielt nicht im Irak oder dem Afghanistan unserer Tage, sie handelt in Irland um 1920. Die Sprache ist Gälisch und der Glaube katholisch.
Seit Jahrhunderten ist Irland von den Engländern besetzt und unterdrückt, Hunger und Armut diktieren den irischen Alltag, der Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit und dem, wenigstens einmal am Tag satt zu Essen zu haben, inspirieren den bewaffneten Kampf, den politischen Untergrund und führen zu dem, was man heute gerne den Terrorismus nennt. Ken Loach entwickelt vor dem Hintergrund des irischen Freiheitskampfes ein beeindruckendes Kino-Epos von Bruderliebe und Bruderzwist, von Tapferkeit und Verrat, von den vielen Facetten menschlicher Moral. Dass der Film in diesem Jahr mit der Goldenen Palme des Filmfestivals in Cannes ausgezeichnet wurde, unterstreicht nur seine hohe cineastische Qualität und belohnt eine politische Analyse, die, in ein historisches Gewand gekleidet, von schmerzlicher Aktualität ist.
Die Brüder Damien und Teddy stehen zu Beginn des Films auf unterschiedlichen Seiten: Der junge Arzt Damien will nur raus aus dem kaputten Irland, in London wartet eine Stelle auf ihn, das ist scheinbar seine Zukunft. Teddy ist einer der Kommandeure der Untergrundarmee, für ihn liegt die Zukunft in einem freien Irland. Immerhin hatten die Iren 1918 ein eigenes Parlament gewählt und ihre Unabhängigkeit von England erklärt. Dass die Engländer auf diese Erklärung scheissen, dass sie mit den "Black und Tan" eine hochgerüstete militärische Brutalo-Formation an die Unterdrückungsfront schicken, lässt Parallelen erkennen. Die Verhältnisse im Nahen Osten, die amerikanischen "Marines" oder die deutschen"KSK"-Spezialeinheiten lassen grüssen. Und weil der junge Arzt auf dem Weg nach London wieder und wieder mit der blinden Gewalt des englischen Unterdrückungsapparats konfrontiert wird, bringen ihm die Besatzungstruppen prügelnd bei, wo sein Platz ist: An der Seite seines bewunderten Bruders, in der Armee der irischen Guerilla.
Wer jetzt auf den simplen politischen Holzschnitt wartet, nach dem das Gute gut ist und das Böse böse, der verkennt den klugen englischen Regisseur. Schnell treibt die verständliche Gewalt, mit der die Unterdrückten auf jene der Unterdrücker reagieren, ihre eigenen, schrecklichen Blüten. Ein milchgesichtiger Landarbeiter, einer der zum Untergrund gehört, verrät aus Angst den Schlupfwinkel seiner Kameraden, sie dürfen der Folter und dem Tod ins Auge sehen. Ken Loach widersteht der möglichen Versuchung, aus dem Verräter eine miese Figur zu machen, um ihn dann widerspruchsfrei der Hinrichtung durch seine Mitkämpfer auszuliefern. Er zeigt ihn als den liebenswerten, kaum erwachsenen Jungen, der er eben auch ist, und lässt ihn ausgerechnet von Damien, dem positiven Helden des Films, erschießen.
In einer großartig ausgebreiteten irischen Landschaft lässt der Regisseur die vielleicht einzige Schwäche des Films zu: Er ist ein wenig zu schön, ein kleines bisschen zu bildmächtig, um wahr zu erscheinen. Männer im malerischen Tweed stürmen britische Kasernen, beschaffen sich Waffen, legen Bomben, lassen ihre Trenchcoats wehen und sind auch sonst ziemlich heldisch. Aber möglicherweise bezieht der Film aus diesen Szenen jene Fahrt, die nötig ist, um ein politisches Lehrstück einer größeren Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Gespickt mit historischen Informationen, über die irische Parallel-Administraion zum Beispiel oder über den Anteil, den die junge irische Arbeiterbewegung am nationalen Befreiungskampf hat, könnte das gut zwei Stunden währende Drama manchen Zuschauer unterwegs verlieren, wäre da nicht auch die action, jenes beliebte Unterhaltungsschema, das, trotz üppiger Wissensvermittlung, zumindest die männlichen Kinogucker in den Sitzen halten kann.
Weil es der historischen Wahrheit entspricht und weil die Geschichte politischer Bewegungen fast immer auf solche Punkte treibt, schließt, nach langen und blutigen Kämpfen, ein Teil der irischen Befreiungsbewegung einen Kompromiss mit dem englischen Feind: 1921 wird den Iren eine gewisse Autonomie zugestanden, kräftig eingeschränkt durch eine Zwangsmitgliedschaft im britischen Commonwealth. Erneut bricht der Film mit einer Erwartungshaltung, die auf ein halbwegs glückliches Ende setzt. Teddy, zu Beginn des Kinostückes ein Muster an revolutionärer Entschlossenheit, schließt seinen Frieden mit den Engländern während sein Bruder Damien den Kampf fortsetzt. Loach spiegelt im Zwist der Brüder den lang andauernden, das ganze Land entzweienden irischen Bürgerkrieg, ein Krieg, der zumindest in Nordirland bis in die jüngste Zeit reicht. Die strenge Regie lässt eine schlichte Parteinahme für die eine oder andere Seite, für den einen oder anderen Bruder nicht zu. Bis zum wirklich bitteren Ende des Films wird dem Zuschauer dialektisches Denken abgefordert, wird er eingeladen, sich gefälligst anzustrengen.
"The wind that shakes the barley" , der am 28. Dezember in unsere Kinos kommt, ist kein glatter Film. Ganz sicher ist er ein Film, der zeigt wie Terrorismus entsteht und ihn in soziale und politische Beziehungen stellt, statt sich mit der üblichen Mischung aus Unkenntnis und Abscheu abzuwenden. Der Terrorist ist einer wie Du und ich, er hat nur das Pech in Zeiten und Verhältnisse hineingeboren zu werden, die ihm entweder Unterwerfung oder Aufstand abverlangen. Die irische Frage, seit Jahrhunderten offen, findet heute in Nordirland ganz langsam eine Antwort. Und die Antwort ist übertragbar auf viele andere Gegenden der Welt: Verhandeln ist besser als Schießen, allerdings müssen die Mächtigen manchmal mit Gewalt zum Verhandeln gezwungen werden.