Am besten in einer Hängematte, unter einem schattigen Baum, umfächelt von warmem Wind zu lesen. Oder an einem deutschen Novemberabend, kühl verregnet, gewürzt durch einen kräftigen Tee, gewärmt von einer Decke im Lieblingssessel, das Buch in der Hand. Nicht schlecht auch die Bahn-Variante, die Mitreisenden verschwimmen, Gegend wird leidenschaftslos an den Fenstern vorbeigezogen, fernes Rattern gibt dann dem Roman einen eigenen Rhythmus: Der dreizehnte und letzte Band von Robert Merles Erzählwerk zu einem langen Abschnitt französischer Geschichte ist jetzt bei Aufbau erschienen und er ist ein bisschen altertümelnd und ein wenig routiniert und birgt auch keine wirklichen Überraschungen mehr. Aber er ist Anlass auf die vielen Bände zurückzublicken und neidisch zu werden auf die Franzosen, die mit Merle einen saftigen Erzähler eines großen Abschnitts ihrer Geschichte haben: Die Herausbildung des Absolutismus.

Vielleicht sind die Deutschen gar nicht neidisch, denn Merle passt nicht so recht in die vorhandenen Schubladen. Schreibt er nun ernste Literatur oder nur Unterhaltung, transportiert er Geschichte oder Geschichtchen, darf er bei Aufbau erscheinen oder doch lieber bei Bastei-Lübbe? Müßige Fragen bleiben ohne Antwort. Aber auch interessantere Fragen, wie jene, warum an die historischen Romane Feuchtwangers außer Tanja Kinkel (mit einem Roman über die Fugger) kaum jemand anknüpft oder warum der Doppelband Heinrich Manns aus den Dreißiger Jahren über Henri Quatre in Vergessenheit geraten ist, sind kaum zu beantworten. Die selben Deutschen, die Umberto Ecos »Im Namen der Rose« oder den »Medicus« von Noah Gordon auf die Bestseller-Listen gehoben haben, sind der literarischen Verarbeitung eigener Geschichte wenig aufgeschlossen. Vielleicht müssten sie wachgeschrieben werden. Mit dem »Simplicissimus« von Grimmelshausen kann doch nicht das vorletzte Wort über den Deutschland bis heute prägenden Dreißigjährigen Krieg geschrieben sein. Und auch die Staatwerdung der Nation in der Zeit Bismarckscher Geburtshilfe hat noch keinen Roman.

Dass Merle sein Werk mit der Zeit der Hugenotten, jener französischen Ausprägung der Reformation, beginnt, beweist sein Gespür für den historischen Umbruch als dramatische Bühne für seine Figuren. Es sind kleine Adelige im französischen Süden, von deren Burg aus Merle die Schritte in die Geschichte unternimmt und die, vom Reformator Calvin inspiriert, sich dem einträglichen Broterwerb widmen, der dem katholischen Adel vulgär erscheint. Indem der Wohlstand als Zeichen der von Gott Erwählten begriffen wird, deutet sich früh eine christlich-kapitalistische Ethik an, mit der man die Hugenotten als Modernisierer begreifen dürfte. Die handelnden Personen Merles über drei Generationen hinweg sind »Zweitgeborene«, jene Söhne, die nichts erben und sich durch ihre Intelligenz und ihren Mut als Ärzte, Offiziere und Diplomaten zu beweisen haben. Deren Sicht macht sie zu kritischen Beobachtern ihrer Zeit, durchleuchtet Glauben und Aberglauben und ist vergnüglich. Natürlich sieht der Autor die Hugenotten nicht nur als Träger des Fortschritts. In jenem Maße, wie sie als Separat-Religion lokaler Fürsten der Revolte gegen den Zentralstaat diente, war sie zum historischen Misserfolg verurteilt.

Insbesondere mit der Phase des Henri Quatre neigt der Autor einem augenzwinkernden Praktizismus zu: Das Huhn, das jeder Franzose nach Meinung dieses Königs des Sonntags im Topf haben sollte, gab es zwar kaum, aber dass Paris eine Messe wert sei, das erfüllte sich mit dem Übertritt des Bourbonen-Königs von der Reformation zum Katholizismus. Zwar lässt Merle seine Hauptfiguren mitschwenken, beseelt sie aber mit einem heimlichen Protestantismus, der sie, an keine Partei als die des jeweiligen Königs gebunden, zu perfekten Staatsdienern werden lässt. Merle scheut sich, zumindest in den Fußnoten, keineswegs vor aktuellen Bezügen: So wie im letzten Band das Barrikaden-Jahr 1968 und die Mehrwertsteuer erwähnt werden, so vorwortet er in einem 1991 erschienen Band über die Gefahren eines Atomkrieges. Der französische Romancier, dessen Oeuvre von einer Geschichte über den Auschwitz-Kommandanten Höß bis zu einer Satire über das Patriarchat reicht, versteht den historischen Roman offenkundig als Beitrag zur zeitgenössischen Debatte. Robert Merle, im Jahr 2004 verstorben, war bis zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs.

Wer sein Sommerloch stopfen will, kann das mit »Der König ist tot« ebenso intelligent wie farbig bewerkstelligen. Ganz sicher dann, wenn er schon die vorhergehenden zwölf Bände gelesen hat.

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