Hallo. Wer ist da?
Hier ist der Fiat-Sowjet.
Ah!... Entschuldigung... Ich rufe wieder zurück.
Telefonat, Turin 1920
Was macht eigentlich die Toskana-Fraktion? Jetzt, wo das Berlusconi-Bündnis auch in der traditionell linken Toskana Fuß fasst? Natürlich gibt es immer noch den vorzüglichen Wein aus San Gimignano und die aromatische Fenchelsalami, aber das Italien der linken Kultur, der Unita-Feste, der eurokommunistischen Hoffnungen und der gerühmten Wagenbach-Reise-Literatur scheint an ein Ende gekommen zu sein. Auch in Piemont, mit der einst roten Hochburg Turin, hat sich das Berlusconi-Bündnis durchsetzen können. "Der Geist von Turin", so lautet der Titel des Buches von Maike Albath, dieser Geist, geprägt von Schriftstellern wie Cesare Pavese, den Ginzburgs und Italo Calvino, rund um den Verlag Einaudi, ist vorerst verloren.
Zwei "Dynastien" sieht Maike Albath, die sich im Turin der 20er Jahre auf den Weg in eine neue Zeit machen: Die Agnellis, deren FIAT-Werke wesentliches Symbol der Industrialisierung Italiens wurden und ein Bund junger Männer - Cesare Pavese, Leone Ginzburg und Giulio Einaudi - die den Kern des 1933 gegründeten Einaudi-Verlages bildeten. Und während sich Giovanni Agnelli den Faschisten zuneigte, ihnen sogar ein Auto, den "Balilla" widmete, formierte sich der Widerstand gegen Mussolini rund um die Zeitschrift "La Cultura", in der Hitlers "Mein Kampf" verrissen und amerikanische wie russische Schriftsteller erstmalig in Italien bekannt gemacht wurden. Die Einaudianer stießen, mitten im faschistischen Italien, ein Fenster zur Welt auf.
Mit Fleiß und Sympathie trägt Maike Albath die Fakten rund um den Einaudi-Verlag zusammen. Zuweilen fragt man sich allerdings, wie sich ihre politische Analyse mit ihren Sympathien verträgt. Wenn sie an die Kompromisse der jungen italienischen Intellektuellen erinnert, die Scheinmitgliedschaft Paveses in der faschistischen Partei zum Beispiel, um dann einen Unterschied zwischen deutschem und italienischem Faschismus zu betonen, wäre ein wenig Begründung nützlich: Lag der Unterschied in der Größe der Verbrechen? Oder verbirgt sich dahinter die neue Begrifflichkeit von der "sanftmütigen Diktatur", die dem italienischen Ministerpräsidenten ebenso glatt wie verlogen von der Zunge glitscht? - Leone Ginzburg, der sich nach Jahren der Haft dem italienischen Widerstand anschloss und 1945 nach schwerer Folter in einem römischen Gefängnis starb, wird von der Autorin eindeutig zitiert: "Eine Maske, die man zu lange trägt, löst sich am Ende nicht mehr vom Gesicht."
Als der italienische Widerstand gegen Mussolini gesiegt hatte, begann auch der Siegeszug des Verlags Einaudi: Weltliteratur wir Carlo Levis "Christus kam nur bis Eboli", Bassanis "Die Gärten der Finzi-Contini" oder Elsa Morantes Kriegsepos "La Storia" wurden verlegt und erfolgreich verkauft. Gramsci und Brecht, Adorno und Borges, Goethe und Gogol sie alle erschienen bei Einaudi. Mit ihnen prägte der Verlag die italienische Kulturdebatte. Maike Albath vergisst nicht, die Wurzeln des "Geist von Turin" auch in einer zeitweilig mächtigen Arbeiterbewegung zu sehen, wenn sie Antonio Gramsci zitiert, der über die neuen Organisationsformen der FIAT-Kollegen schrieb: "Der Arbeiterrat in der Fabrik ist das Modell für den proletarischen Staat." Die lange Linie dieser dritten Turiner "Dynastie" - von den "Biennio rosso" den zwei roten Jahren der mächtigen Turiner Rätebewegung (1910/20) bis zum heißen Turiner Herbst 1969, in dem sich die FIAT-Arbeiter deutlich bessere Lebensbedingungen und eine Teilhabe an der Macht erkämpften - spielt bei Albath nur eine marginale Rolle.
Nur wenig macht den Niedergang der italienischen Linken deutlicher, als der Verkauf des Einaudi-Verlages 1994 an die Verlagsgruppe Mondadori, den Hausverlag Berlusconis. Maike Albath nimmt an, dass "Im grellen und spektakulär vulgären TV-Italien Berlusconis . . . . die Schrift an Bedeutung verloren (hat)." Wer hat wann die Massen, das Volk der Simplifizierung überlassen? Wo steht heute, nicht nur in Italien, die Intelligenz? Ist der rapide Verfall gewerkschaftlicher Milieus und die parallele Sinnentleerung der Kultur ein zusammenhängender Prozess? Fragen, die der "Geist von Turin" zwar nicht beantwortet aber zwingend aufwirft. Dem Berenberg-Verlag ist, mit dem Blick auf ein fast vergessenes Italien, erneut eine Entdeckung gelungen. So ist der Geist von Turin nicht als Nachruf, sondern als ein Echo aus der Geschichte zu begreifen: La Lotta continua.