Ein "Koloss der Ausdrucksgewalt, mündlich und schriftlich", erzählt Bernhard Klein über den Gegenstand seiner Bewunderung, Peter Sloterdijk. Klein hat jene etwa 30 Interviews des Philosophen ausgewählt und herausgebracht, die unter dem Titel "Ausgewählte Übertreibungen" jüngst erschienen sind. Nun versteht es sich, dass ein Herausgeber nicht in kritischer Distanz zu den Schriften seiner Wahl stehen muss. Aber er sollte sich auch nicht unbedingt als Epigone, als Nach- und Anbeter betätigen. Zumal Sloterdijk von Natur aus mit einem Selbstbewusstsein ausgestattet ist, das keiner Ermunterung bedarf. So einer trabt gern hoch: "Seit zwanzig Jahren dominiert bei mir die Lebensform Familie", erzählt der Philosoph seinem Herausgeber, statt einfach zu sagen: Ich habe Frau und Kind. Und wenn er schon mal dabei ist, aus dem Hochtrab ins Vergallopieren zu geraten, dann macht er auch nicht einfach Urlaub, dann "gebe (ich) die Berechtigung des Urlaubs allmählich zu." Ich, Cäsar Sloterdijk, gewähre mir und allen anderen Urlaub. Statt loszuprusten schreibt Klein das tatsächlich auf.
Manchmal gibt Sloterdijk den Schirrmacher - oder der hat bei ihm abgeschrieben - wenn er behauptet, die Rolle des Vermittlers, des Mediums sei von Personen auf Apparate verschoben worden. So, als ob die Apparate nicht von Menschen mit deren Interessen bedient würden: Hinter solchen mechanischen Vorhängen sind dann die Kräfte, denen die Apparate gehören, verschwunden und für nichts verantwortlich. So bleibt es nicht aus, dass der Philosoph die Binse zur Weisheit aufbläst: "Dass der Mensch ein Wesen ist, das im Kommen ist und im Gehen." Wenn er jetzt noch das Werden und Vergehen des Menschen nachschöbe, das Leben und Sterben, das Wachsen und Reifen, das Bleiben und Verschwinden, dann hätte er endgültig alle Trivialitäten abgearbeitet und könnte sich zu Ruhe setzen.
Doch nicht so Sloterdijk. In einem Gespräch mit dem Vitra Design-Museum (gegründet von einem Möbelhaus) führt er uns tiefer und tiefer in das Stop-and-Go menschlicher Existenz ein: "Der Sinn von Geburten im allgemeinen besteht wohl darin, dass Wesen, die von innen kommen, einen Ortswechsel vollziehen . . ." Das formuliert der Berliner genauer und existenzphilosophischer, wenn er sagt: "Wenn Se reinkommen könn´ Se rausgucken." Weil der Philosoph solcher Abstraktion leider nicht fähig ist, muss er dann der Zeitschrift WIRTSCHAFTSWOCHE in einem Gespräch über Reichtum versichern: "In der PDS (Linkspartei) gibt es zudem einen linksfaschistischen Widerstandsblock, der unberechenbar ist, weil er ein antikapitalistisches Ressentiment organisiert." Wenn er das doch nicht organisieren würde, der Block, wäre er wenigstens berechenbar, sagt Sloterdijk. Ach. Und weil die Linkspartei ein Ressentiment, eine Abneigung gegen den Krieg und Hunger und Ausbeutung verursachenden Kapitalismus hat, deutet der Berufsphilosoph sie als linksfaschistisch. Als faschistisch galt und gilt die NSDAP. Die war mit allen nichtjüdischen Kapitalisten gut Freund. Mit Sloterdijk dürfen wir sie jetzt getrost vom Faschismusvorwurf freisprechen. Denn antikapitalistisch war sie wirklich nicht. Müssen Philosophen von irgendwas irgendeine eine Ahnung haben? Nö, sagt unser Peter und faselt weiter.
Manchmal allerdings ist Sloterdijk unschuldig. Dann sind es seine Gesprächspartner, die ihn geradezu zwingen dummes Zeug zu erzählen. So Arno Frank für die "taz", wenn er zum Euro und der "Wohlstandssphäre Europa" fragt als gäbe es kein Hartz Vier, keine Banlieues, keinen Hunger in Portugal oder Irland. Alles ist ihm wohlständig. Dann muss der Philosoph einfach von der singulären, europäischen Großstruktur schwärmen, Hauptsache groß, Inhalt beliebig. Oder wenn Mattussek für den SPIEGEL, eine Assistenzfrage nach der anderen stellend, fragt: "Bringt nicht Schröder jetzt jene Reformen auf dem Weg, die eigentlich die CDU in den achtziger Jahren hätte betreiben müssen?" Da reicht für Sloterdijk kein einfaches JAWOLL, da muss er schnell noch die "Einheitspartei des Wohlstands" beschwören und hat mit der Einheitspartei nicht mal unrecht. Auch wenn vom Wohlstand nur in den höheren Regionen die Rede sein kann. Schöner Höhepunkt bleibt Thomas Macho, der dem Slotedijk das "Haus der Sprache" als "geheimnisvollen Ort" zuschiebt, damit der dann erzählen kann, dass die "Menschwerdung der Nebeneffekt einer einzigartigen Verwöhnung" sei und die Menschen deshalb ins Haus der Sprache eingezogen sind. Da ist selbst das biblische Märchenbuch genauer wenn es den Schöpfer zitiert, der den Menschen zuruft, dass sie ihr Brot mit Schweiß bezahlen müssen. Und bei Friedrich Engels hätte Sloterdijk nachlesen dürfen, dass die Sprache als erstes Handwerkszeug der Menschen entstanden ist.
Was dürfen wir alles lesen: Dass die französische Bourgeoisie vor der Revolution schlankweg zu den Ausgebeuteten gehörte. Als habe der Philosoph nie von zum Beispiel dem vorrevolutionären Jacques Necker gehört, schwerreicher Bankier und Getreidespekulant, der natürlich nicht ausgebeutet wurde sondern selbst ausbeutete. Wer das von den Anfängen des Kapitalismus nicht wissen will, der kommt dann nahtlos dazu, dass man doch den Arbeitslosen nicht immer als "Mängelwesen" beschreiben solle, immerhin sei er doch frei von Arbeit. Und weil Sloterdijk in Wahrheit alles weiß, kommentiert er auch die Fußballweltmeisterschaft und kommt zu der verblüffenden Erkenntnis, dass der "entwickelte Kapitalismus" den "Arbeiter in Spieler, in Börsianer" verwandelt. So landen wir dann zwanghaft folgerichtig bei der These, dass die "über das Geld gesteuerte Meritokratie, wie sie über die Marktwirtschaft ermöglicht wurde, viel zur Entgiftung der sozialen Beziehungen beigetragen" habe. Mal wieder verwechselt Sloterdijk die Meriten, die Verdienste, mit dem, was sich Milliardäre in die Tasche stecken und was die deutsche Sprache leider schon mit dem Wort "verdienen" verschleiert. Und die Entgiftung sozialer Beziehungen wird man sich in der Art einer Kur des Doktor Eisenbart vorstellen müssen, der seine Patienten gern auch mit dem Todesschuss für immer kurierte: Gloria, Victoria, widewidewitt, bumm, bumm!
Der Herausgeber der Gesprächssammlung, Bernhard Klein, wirbt zu Beginn für das Buch mit der Behauptung, er lege ein "Florilegum", eine Blütenlese vor. Wenn er damit hat sagen wollen, er versuche uns Falschgeld, Blüten anzudrehen, hat er so unrecht nicht. Denn wer wie Sloterdijk den Philosophen Hegel schlicht einen "Kollegen" nennt, so als hätten er und Hegel am selben Abflussrohr geschraubt, der ordnet sich falsch ein, der kann vor lauter Klopfen auf die eigene Schulter den Fehlschuss nicht mehr hören. Der schafft es tatsächlich, ein gefälschtes Leben als richtig auszugeben.