Der arme Sarrazin: Erst ist er nicht mehr in jeder Talkshow, dann hat der norwegische Massenmörder ihn nicht in seinen wirren Schriften zitiert, obwohl sie dort gut hingepasst hätten und nun kommt auch noch Sascha Stanicic mit seinem "Anti-Sarrazin" auf den Buchmarkt und entlarvt den Mythos vom "Irgendwie-hat-er-doch-Recht-der-Sarrazin" als kompletten Blödsinn. Und wie macht er das? Er liest dessen Buch. Und dann prüft er ziemlich gnadenlos die sogenannten Fakten, armer Sarrazin.
Manchmal macht es der beamtete Rassist seinem Kritiker aber auch zu leicht. So, wenn er in einem Interview erklärt: "Wenn man aber keine Zahl hat . . . muss man eine schöpfen, die in die richtige Richtung weist, und wenn sie keiner widerlegen kann, dann setze ich mich mit meiner Schätzung durch." Und dann schöpft der Sarrazin solche Behauptungen, wie jene, dass die Empfänger von Transferleistungen keine Steuern zahlen und Stanicic erinnert kühl an die vielen indirekten Steuern, von der Mehrwert- bis zur Tabaksteuer, die alle zahlen müssen, auch die Hartz IV-Empfänger.
Auch die Mär vom Tabubrecher fällt dem klaren Blick des Anti-Sarrazin zum Opfer: Wer, wie Sarrazin, von BILD und BILD am Montag (Spiegel) vorabgedruckt wird, wer von Talkshow zu Talkshow reist und dort vorgebliche Weisheiten verkündet, die man immer schon bei der NPD oder auch manchem prominenten Sozialdemokraten hat lesen können, der bricht garnichts, der kotzt seine Meinung auf den öffentlichen Tisch und wird dafür auch noch belohnt: Mit beträchtlichen Einnahmen aus seinem Buch, mit einer wunderbaren staatlichen Pension und einer ebenso staatlichen Abfindung, als er bei der Deutschen Bundesbank nicht mehr zu halten war.
Wenn Sarrazin - und mit ihm seine Claqueure in der einschlägigen Öffentlichkeit - von den Muslimen in Deutschland erzählen, sie hätten keinen "wirtschaftlichen Mehrwert" erbracht, zitiert Stanicic eine Studie des Institutes zur Zukunft der Arbeit, die festhält, dass ". . . jeder Migrant . . im Laufe seines Lebens . . . durchschnittlich 11.000 Euro mehr an den Staat (zahlt) als er bekommt." Den manipulativen Umgang mit Zahlen weist das vorliegende Buch an vielen Stellen nach. Angesichts der gutbürgerlichen Angst vor den "kriminellen Muslimen", die Sarrazin als überdurchschnittlich gewaltbereit bezeichnet, ist die Widerlegung mit der Berliner Polizeistatistik, die junge christliche Osteuropäer bei Gewalttaten weit vorne sieht, ebenso tatsächlich wie ironisch.
Doch der wertvollste Denkansatz im Anti-Sarrazin ist jener, der den Ex-Senator und Ex-Bänker als Feind der Armen, der Unterschicht, völlig unabhängig von Nation oder Religion, begreift. Deshalb ruft Stanicic ins Gedächtnis, dass der Islam-Hasser schon mit seiner Kampagne gegen Hartz IV-Empfänger und seinem Ernährungsplan für die Unterschichtler (4,25 Euro am Tag sollten ausreichen) nichts anderes war, als ein Empfänger von viel öffentlichem Geld, der denen, die viel weniger bekommen als er, auch dieses Bisschen noch schmälern will.
In Zeiten, in denen in vielen europäischen Länder rechtspopulistische Parteien mit ihrer Anti-Islam-Kamgane Erfolge verzeichnen, in denen - am Beispiel Griechenlands, Spaniens oder Portugals - mal wieder der "faule Südländer" am deutschen Wesen genesen soll, ist die Arbeit von Sascha Stanicic ebenso nützlich wie besonders notwendig.