Ihr Film über Ulrike Meinhof, der nach Ansicht eines Freundes arg unpolitisch geraten ist, stürzt Regisseurin Charlotte Weiss (Nina Kronjäger) in eine Schaffenskrise, aus der sie sich radikal befreien will – mit einem Dokumentarfilm über eine Hartz IV-Bezieherin! Davon bringt sie auch die Skepsis ihrer Produzentin – „So etwas will doch keiner sehen!“ – nicht ab, und eine geeignete Protagonistin hat sie durch ein Casting beim Jobcenter auch bald gefunden: Gloria Schneider, 41, allein erziehende Mutter mit Knasterfahrung und meist abwesender Tochter Paula, die auch noch das Ergebnis einer Vergewaltigung durch den Gefängnisaufseher ist. Eine ideale Besetzung! Was Charlotte nicht weiß: Gloria ist zwar wirklich ständig pleite und aktuell sogar ohne Bleibe, hat aber ihre traurige Vita komplett erfunden und ist in Wirklichkeit erfolglose Schauspielerin an einer Off-Bühne, Abendgage 7,20 Euro.
Die Rollentauschkomödie kann also losgehen, und sie tut dies in so atemberaubendem Tempo, dass man fast die Übersicht verliert über die vielen Figuren, die sich da in Glorias „Einzimmerwohnung“ während der Dreharbeiten tummeln – wenn sie sich nicht gerade in dem großen Kleiderschrank verstecken müssen, durch den Gloria ihr Apartment erst in eine solche umgewandelt hat. Natürlich muss bald auch noch eine Paula her, dann auch deren Erzeuger sowie ihr Freund, und Kontrolleure vom Jobcenter dürfen auch nicht fehlen. Allesamt werden sie natürlich gespielt von Glorias Bühnenkollegen, allen voran der eitle Pierre, der in den Filmaufnahmen die Chance sieht, sich endlich nach oben zu spielen. Somit sind alle Zutaten parat für eine polternde Klamotte, und zumindest im letzten Drittel ist der nur 75 Minuten kurze Film „Das traurige Leben der Gloria S.“ davon leider nicht mehr weit entfernt.
Ein Film also über das Filmemachen? Davon haben schon erfahrene Hollywood-Produzenten immer abgeraten. Eine schrille Komödie über die, die im Leben als „Hartzies“ nichts zu lachen haben? Auch das sollte sich eigentlich von vornherein verbieten. Und, drittens, eine realistische Darstellung des sozialen Elends ist von einer Bühnentruppe, die zwischen Boulevardkomödie und absurdem Regietheater hin und her dilettiert, ohnehin nicht zu erwarten. Schlechte Karten also für die zwei Filmemacherinnen Ute Schall und Christine Groß, die neben der Regie auch noch für Buch, Schnitt und eine Hauptrolle zeichnen. Man ahnt, das kann nur schiefgehen – und sieht sich angenehm überrascht! Denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich ihr Film als ein recht raffiniertes Spiel mit unseren Seherwartungen – und als bissige Kritik an den Medien, die diese angeblich nur bedienen, in Wirklichkeit aber staatsfromm zähmen.
Schon der melodramatisch klingende Titel des Films im Film verlangt nach parodistischer Umkehrung und Doppelbödigkeit, und so ist denn auch nicht dessen Titelfigur Gloria wirklich die Hauptfigur, sondern die Regisseurin Charlotte. Die wird allerdings ahnungslos zum Opfer einer ganz anderen Inszenierung: Ihre vermeintliche Protagonistin Gloria und deren Freundin, die ihr das „Drehbuch“ schreibt, kennen das Bild, das die Medien sich – und uns – von den sozial Deklassierten machen, und Gloria ist Schauspielerin genug, es ihnen zu liefern. Charlotte dagegen muss sich ständig der Einflüsterungen ihrer starr auf die Einschaltquoten fixierten Produzentin erwehren und kann sich darum erst recht als Vorkämpferin der Unterdrückten in den Medien fühlen – eine meist gut bezahlte, fromme Selbsttäuschung auch in der realen Welt, die wohl zur Erklärung taugt, warum „so etwas“ wie den wirklichen Hartz IV-Alltag angeblich niemand sehen will. Darum zieht das Filmteam ab und lässt Gloria ganz buchstäblich mit ihrem Mist zurück (leider fünf Minuten vor Filmschluss).