10. März 2003, London. In der größten Antikriegsdemonstration, die die Themsestadt je erlebt hat, haben am Nachmittag eine Million Menschen am Trafalgar Square demonstriert, um in letzter Minute ihr Nein zu den Kriegsplänen von US-Präsident Bush gegen den Irak in die Welt zu rufen. Etwas von dieser Stimmung muss am Abend auch in das riesige Auditorium des Shepherds Bush Empire hinübergeschwappt sein, wo die Dixie Chicks vor einem begeisterten Publikum das Auftaktkonzert zu ihrer Welttournee geben. 30 Millionen verkaufte Alben haben die drei Girls aus Texas zur erfolgreichsten Country-Blues-Band aller Zeiten gemacht, und seit sie beim wichtigsten Sportereignis der USA, dem Super Bowl, ergriffen die US-Hymne vorsingen durften, scheint ihre Popularität keine Grenzen mehr zu kennen. Und dann passiert es: Leadsängerin Natalie Maines ruft von der Bühne in den Saal: »Damit ihr es wisst: Wir wollen diesen Krieg nicht, und wir schämen uns, dass der Präsident der Vereinigten Staaten aus Texas stammt.«

Der Applaus, der ihnen entgegendröhnt, wird für einige Zeit ihr letzter sein. Denn ihre spontane, kühne Wortmeldung wird auch in Washington gehört – und hat für die drei ungeahnte Folgen. Von interessierten Kreisen kräftig geschürt, beginnt sofort eine beispiellose Hetz- und Boycottkampagne gegen das Trio. Die rechtskonservative Presse überzieht sie mit Attributen wie »Verräterinnen« und »Saddams Engel«, die Rundfunksender spielen ihre Songs nicht mehr und rufen die Fans sogar auf, die CDs der Dixie Chicks abzuliefern, um sie dann medienwirksam plattwalzen zu lassen. Und der rechte Mob reagiert mit anonymen Beschimpfungen und sogar konkreten Morddrohungen.

Unter dem Druck der einbrechenden Verkaufszahlen und der besorgten Einflüsterungen ihres Managers drohen die zuvor politisch naiven Musikerinnen zu zerbrechen. In TV-Interviews beginnen sie mit taktischen Rückzugsmanövern, entschuldigen sich für Natalies Wortwahl, ohne aber ihre prinzipielle Ablehnung von Bushs Kriegspolitik zu widerrufen. Doch der Mob ist nicht zufrieden. Ein Konzert in Dallas im Juli 2003 kann wegen der Morddrohung gegen Natalie nur unter massivem Polizeischutz stattfinden, und auch das neue Dixies-Album wird von den Sendern boycottiert. Die drei Musikerinnen, inzwischen allesamt junge Mütter, suchen Ruhe und Halt in ihren Familien – zu Kreuze kriechen wollen sie dennoch nicht.

Die Dokumentaristin und mehrfache Oscar-Gewinnerin Barbara Kopple (»Harlan County, USA« u.a.) hat gemeinsam mit Co-Regisseurin Cecilia Peck das Geschehen um das Trio über mehrere Jahre verfolgt und nun in »The Dixie Chicks – Shut Up and Sing!« zur Chronik eines politischen Skandals in der ansonsten »unpolitischen« Musikszene verdichtet. Dank ihrer großen Nähe zu ihren Protagonistinnen ist daraus zugleich das intime Porträt dreier junger Frauen und ihres politischen Reifungsprozesses geworden. Denn so beeindruckend auch das Material, das die beiden von den Protestaktionen und Konzerten der Dixie Chicks zusammengetragen haben, die stärksten Passagen ihres Films sind doch jene, in denen aus den Gesprächen in ihren Familien oder mit ihrem Manager Zerbrechlichkeit, aber auch verhaltene Rebellion aufscheinen. Da werden Spannungen sichtbar, Risse, die durch das äußerlich so homogen erscheinende Trio gehen, wenn die eine dem Boycott durch musikalische Umorientierung entkommen will, die andere aber das Bewährte nicht aufgeben möchte.

Dass diese Spannungen das Trio nicht zerrissen, sondern am Ende nur politisch gefestigt haben, ist wohl auch ein ungewollter »Erfolg« derer, die mit ihrer verbohrten Hass- und Hetzkampagne eine politisch nicht genehme Meinung zum Schweigen bringen wollten. Natalie Maines, Emily Robison und Martie Maguire haben sich die Freiheit genommen, von der die US-Hymne im »Land of the Free« singt, und sie nehmen sie sich auch weiter. »Es ist, als hätte man uns zusammengeschlagen und wieder in den Ring geschubst«, sagt Emily. Und stehen sie am 15. Juni 2006 wieder »im Ring« in Shepherds Bush in London, am Ort ihres »Verbrechens« – nun als Wiederholungstäter!

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