Ein Flaneur aus dem katalanischen Spanien, Eugeni Xammar, besucht das von der Inflation geschüttelte Deutschland der Zwanziger Jahre. Scheinbar kühl, scheinbar teilnahmslos, immer mit leiser Ironie, flaniert er durch das nervöse Berlin, das dumpfe München und das von den Franzosen besetzte Rhein- und Ruhrgebiet. Hinter der Pose des Herrenschreibers ist ein blanker, schneller Verstandesapparat installiert, dem wenig entgeht und der das Viele zur angenehm lesbaren Analyse verdichtet. Dass diese, damals für spanische Zeitungen geschriebenen Artikel unter dem Titel »Das Schlangenei«, heute auf Deutsch erschienen sind, verdanken wir dem Berenberg-Verlag: Der hat´s gefunden.

»Sie (die Weimarer Republik) lebt seit vier Jahren im permanenten Verteidigungszustand, kann sich aber nicht zum Angriff entschließen«, schreibt Xammar im November 1922 und erfasst so das Dilemma der Republik. Als ein weiteres Grundübel des Weimarer Versuchs ein demokratisches Deutschland aufzubauen, begreift er den Versailler Vertrag: 210 Millionen Goldmark wären, infolge des Ersten Weltkriegs, als Reparationsleistung zu zahlen. Es sind diese Schulden, die das Deutsche Reich zwar nie beglichen hat, die aber als Verursacher einer grotesken Inflation gelten dürfen: »Nachdem er hundert Mark für die Straßenbahn, fünfhundert Mark für einen Kaffee, achttausend Mark für die Straßenbahn , zwölftausend für einen Platz im Theater, ausgegeben hat, ist der Deutsche empört." beobachtet Xammar und sieht in diesem Zusammenhang auch: ». . . dass die deutsche Regierung eine falsche Politik betreibt und ein paar Millionen Bürger fette Geschäfte machen«.

Als einmal bei Sabine Christiansen die Herren Karasek und Bahr zusammen saßen und Gründe für das Ende von Weimar und den Anfang alles Bösen suchten, verkündete Karasek: »Der Versailler Vertrag war für alles verantwortlich." Und der altersmüde Bahr assistierte mit der Bemerkung: "Geschichte ist Geschichte, daran kann man nichts ändern". Man folgte einem Trend, der wahrscheinlich in der Werkstatt des Geschichts-Visagisten Guido Knopp erfunden wurde, die Reparationen für die Nazis verantwortlich zu machen und so das Bürgertum, die Industrie und letztlich alle Deutschen freizusprechen. Allein am Fall Fechenbach, der Verurteilung eines Journalisten, der wegen der Veröffentlichung eines angeblich geheimen Telegramms elf Jahre Zuchthaus bekam, demonstriert Xammar die inneren Ursachen und Verantwortungen der Deutschen, wenn er dessen Strafe mit der Lage General Ludendorffs vergleicht, der sich zwar gegen die Republik verschworen hatte, aber unbehelligt durch München spazierte.

Dem Vorabend eines nächsten Justizskandals ist der spanische Journalist auf der Spur, als er am 8. November 1923 im Münchner Bürgerbräukeller »Hitlers Glöckchen« erlebt: Der demnächstige Führer schießt an die Decke des Kellers, um sich der Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher zu sein und verkündet, unter dem Beifall des Publikums, seine Putschabsichten. Tatsächlich wird er am nächsten Tag in Ludendorffs und anderer bewaffneter Begleitung zur Feldhernhalle marschieren, um die Regierung zu stürzen. Die Putschisten werden verhaftet und wegen Hochverrats vor ein Gericht gestellt und während Ludendorff gleich freigesprochen wird, darf der Hitler ein Jahr Festungshaft absitzen, obwohl er als Ausländer eigentlich hätte abgeschoben werden müssen. Aber der Richter erkennt: Ein Mann »der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler«, der wird noch im Lande gebraucht. Das ist der schändliche Geist, an dem Weimar zerbrochen ist. Aber wie soll so ein Allerweltsschwätzer und Verlegenheitsschreiber wie Karasak das erkennen können.

In Xammars Arbeit ist ein Interview mit Hitler nachzulesen, dessen dort ausgekotzter, dumpfer Judenhass einer Selbstentlarvung hätte gleichkommen können, wenn wir Nachgeborenen nicht wüssten, dass nicht wenige Deutsche diesem Hass applaudiert haben. Dem Autor, der ironisch anmerkt, dass Hitler ein Mann sei, der auf die Welt gekommen ist, um portraitiert zu werden, wird das Interview nur gewährt, weil er aus Spanien kommt. Es ist das Spanien des Primo de Rivera, dem Diktator vor Franco, dessen Name anscheinend für die richtige Gesinnung des katalanischen Journalisten bürgt. Noch heute steht der Name Riveras in meterhohen Lettern an einer Kirche in Alqueria Blanca, einem verschlafenen Ort auf Mallorca. Ob der Papst das weiß? Und wenn ja, ob es ihn kümmert?

Zwei Jahre flanierte Eugeni Xammar durch ein fieberndes Deutschland, dem er eine schwere Krankheit attestiert und ohne eine endgültige Diagnose zu liefern doch ahnt, dass der Patient noch nicht am Ende seines Leidenswegs angekommen ist. Das Schlangenei wird in den Zwanziger Jahren noch bebrütet, das Monster sollte erst Jahre später schlüpfen. Xammars Momentaufnahme dieses Brütens ist unterhaltend und lehrreich: Dumpfe Brüter explodieren gern.

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