Einen anregenden Doppeltitel hat Harald Klimenta seinem neuesten Buch mit auf den Weg gegeben: "Das Gesellschaftswunder" liest man zum einen und zum anderen "Wie wir Gewinner des Wandels werden". Der erste Titel erinnert ein wenig an das Wirtschaftswunder, jene ferne Zeit, in der die Westrepublik retrospektiv nur aus Milch und Honig bestanden haben soll. Der zweite suggeriert, der "Wandel", gemeint ist augenscheinlich die Globalisierung oder die Verwandlung der sozialen Marktwirtschaft in die Diktatur des Marktes, böte die Chance, dass auch wir Normalos im "Wandel" gewinnen könnten.

Zu Beginn leistet der Autor, der Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von "Attac" ist und gemeinsam mit Gerhard Boxberger den Bestseller "Die 10 Globalisierungslügen" geschrieben hat, eine vernichtende Analyse des Profitprinzips. Am Beispiel des Ausverkaufs staatlicher Unternehmen, ob der Berliner Wasserbetriebe oder der staatlichen britischen Eisenbahnen, weist er nach, dass das Gerede vom Nutzen der Privatisierung nur den neuen privaten Eignern, aber ganz sicher nicht dem Konsumenten und ursprünglichen Besitzer, dem Bürger, nutzt. Trotzdem sieht er, wie in späteren Kapiteln auch, "Lichtblicke" in den wenigen Kommunen, in denen mit Bürgerbegehren der Verkauf von Stadtwerken oder die Privatisierung der Müllabfuhr verhindert wurde.

Die seltenen Lichtblicke wirken um so heller, weil sie vor einem düsteren Hintergrund aufleuchten können: Die Enteignung der Bürger durch ihren "zufällig gerade regierenden Stadt- oder Gemeinderat", findet in den Mainstream-Medien Dauerbeifall, die Umbau-Fraktion hat in den deutschen Eliten eine komfortable Mehrheit. "Der Anteil der Staatsausgaben für innere Sicherheit (hat sich) seit 1991 fast verdoppelt, gleichzeitig (wurde) die Finanzierung öffentlicher Räume, Güter und Dienstleistungen zurückgeschraubt".

Sehr plastisch erläutert Klimenta den europäischen Steuerwettbewerb, der zum Beispiel die Esten dazu verführt, komplett auf die Besteuerung von Unternehmergewinnen zu verzichten. Immer mehr Länder der EU senken immer mehr Steuern, um die Ansiedlung von Unternehmen im eigenen Land zu fördern und die Umsiedlung aus anderen Ländern zu beschleunigen. Dass der "Staat", gemeint ist hier seine soziale Funktion als Betreiber von Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten, infolge dieses ungeregelten Standortwettbewerbs "magersüchtig" wird, dass die Steuerquote in Deutschland zu einem der niedrigsten Werte aller Industriestaaten tendiert, ist die logische, im Buch sauber beschriebene Folge.

Am Beispiel der Cayman-Inseln, einem der Lieblingsorte internationaler Steuerbetrüger, wird deutlich, wie wenig die nationalen Regierungen gegen die Steuerflucht unternehmen. Ganz sicher würde eine Besetzung der Cayman-Inseln durch eine Kompanie US-Marines weniger kosten und den Vereinigten Staaten mehr einbringen als der ebenso mörderische wie unsinnige Krieg im Irak. Mit einem sehr schönen Zitat aus einem Caritas-Papier bringt der Autor das wahre deutsche Dilemma auf den Punkt: "Auf einen Euro missbrauchter Sozialhilfe kommen 540 Euro hinterzogener Steuern."

Auch die Rationlisierungspeitsche, die im Ergebnis der Unternehmensrenditen von 25 und mehr Prozent geschwungen werden wird, findet sich im Buch gut erklärt und beschrieben. Mit normalen Umsätzen, normalen Betriebsergebnissen lassen sich die gewünschten Unternehmensziele nicht mehr realisieren, sie sind nur noch durch Kosten- sprich Lohn- und Gehaltssenkungen im großen Maßstab zu erzielen. In einer klaren Übersicht einer Reihe von Tariflöhnen in Ostdeutschland erscheint der Sechs-Euro-Job keine Seltenheit zu sein und angesichts des Stundenlohns im sächsischen Gartenbau (2,47 Euro) oder der Floristin in Berlin (4,22 Euro) ist die vom Autor aufgeworfene Frage, wie hoch denn die Unterhaltskosten eines Sklaven sind, mehr als berechtigt.

Wenn es allerdings um gesellschaftliche Alternativen geht, wenn Klimenta aus der ökonomischen und sozialen Analyse heraus dem Leser Handlungsvorschläge oder Beispiele unterbreitet, lässt der aufgebaute Spannungsbogen spürbar nach. Zwar erinnert er mit Friedrich Merz, der über die Sendung von Sabina Christiansen zu sagen wußte, dass sie die politische Agenda mehr bestimme als der deutsche Bundestag, an die Schieflage der Demokratie, aber schon in seiner Kritik an der "Diktatur der Mehrheit" ist Klimenta der Blick auf die Besitzenden, die Mehrheiten herstellen wie sie wollen, verloren gegangen.

Auch bei der Schilderung des öffentlichen Starts von "Attac" während des G8-Gipfels 2001 in Genua, verlässt ihn der für gesellschaftlichen Wandel notwendige Durchblick, wenn er die "sinnlosen Gewalt" einiger Demonstranten der "großen Gruppe friedlicher Demonstranten unter dem Namen Attac« gegenüberstellt. So, als ob man nicht sehr schnell nach dem Gipfel von den brutalen Provokationen der Berlusconi-Polizei erfahren habe die Gewalt verursachte und so, als ob man ein Omlette backen könne, ohne Eier zu zerschlagen.

Die Titelversprechen über "Wunder" und "Wandelgewinner" lösen sich in der vorliegenden Arbeit nicht ein. Das hindert nicht, von einem nützlichen, auf vielen Seiten sorgfältig analysierendem Buch zu schreiben. Wie aber einem Autor, der in einem Buch über die Ökonomie des Kapitalismus Adam Smith, John Meynard Keynes oder Milton Friedman zu zitieren weiß, nicht einmal der Name Marx einfällt, ist schwer erklärbar. Unkenntnis oder Angst sich zu kontaminieren: In beiden Fällen mindert es die Qualifikation.