Liebe gnädige Frau,
sie dürfen auch ungnädig sein, oder Kollegin, Genossin, auch gerne Lebensabschnittsbevollmächtigte. Dieses Mal zu Weihnachten bitte keine Krawatten für den Gatten (Sohn, Schwiegersohn, Enkel, und so fort). In diesem Jahr sollten "Rebel Girls", rebellische Mädels, unter den Baum. So heißt das neueste Buch von Victor Grossman, dem einzigen Menschen, der sowohl an der Harvard Universität als auch an der Karl-Marx-Uni in Leipzig studiert hat. Grossman schreibt über 34 widerständige Frauen, die allesamt in den USA gelebt haben oder noch leben. Eine solche geballte Ladung an Frauen-Power hätte man den USA nie und nimmer zugetraut.
Natürlich kennen Sie, verehrte Dame, die farbige Revolutionärin Angela Davis, eine von der weißen Meute gejagte, kluge und tapfere Frau, von der Ronald Reagan gesagt hatte, sie würde niemals mehr in Kalifornien lehren. Es war nicht der einzige Unsinn den Reagan erzählt hatte. Auch Jane Fonda ist Ihnen selbstverständlich bekannt, die Schauspielerin, die gegen den Krieg der USA in Vietnam kämpfte und von der ein besonders schöner Satz stammt: "Feminismus hat einfach nichts damit zu tun, ob man Make-up trägt oder nicht. Es geht dabei um die eigene Selbstwahrnehmung!" Also die zwei aus Grossmans Buch sind ihnen bekannt. Aber haben Sie jemals von Anne Hutchinson gehört, von einer Frau, die 1634 nach Amerika kam, fünfzehn Kinder gebar und als erste Frau eine christliche Frauengemeinde gründete und gleiche Rechte einforderte? - Und was Sie nicht kennen, das kennt Ihr Mann bestimmt nicht.
Sie könnten lesend gemeinsam Margret Fuller kennen lernen, die, wahrscheinlich zurecht, von sich gesagt hat: "Ich kenne alle Menschen in Amerika, die es sich zu kennen lohnt, und finde keinen Intellekt, der mit meinem vergleichbar ist." Vielleicht war sie deshalb später an der Revolution für Italiens nationale Einheit beteiligt. Auch Harriet Tubman, die eine "Underground Railway" zum Transport schwarzer Sklaven in die Freiheit gegründet hat, findet bei Grossman einen Gendenkstein aus Papier. Oder sie treffen in "Rebel Girls" auf die Rabbinertochter Ernestine Rose, die sich sicher war, dass alle Kinder als Atheisten auf die Welt kämen und dies auch gut bleiben könnten. Dass eine Frau mit solchen Ansichten 1854 zur Präsidentin des Nationalen Frauenrechtskonvents gewählt wurde, löste heftige Proteste aus. Dass Rose unweit von Karl Marx beerdigt wurde, ist einer der progressiven Scherze, die von der Geschichte zuweilen gemacht werden.
Victor Grossman erinnert an die Gewerkschafterin Elizabeth Gurley Flinn, die den Kampf nicht nur für Brot, sondern auch für Rosen ausfocht. Er weiß von einer Frau zu erzählen, die als Truckerfahrerin im Spanischen Bürgerkrieg war, auch von Lilian Hellman, die vor dem Ausschuss für "unamerikanische Umtriebe" die Denunziation ihrer Freunde verweigerte und von jener jungen Frau aus Nürnberg, die in ihrer neuen Heimat die Auslieferung von Napalm-Bomben nach Vietnam blockierte und deshalb wegen "Hausfriedensbruch mit der Absicht legale Geschäfte zu stören", verklagt wurde.
Der Autor gibt in seinem Nachwort reuig zu, dass viele großartige Frauen in seinem Buch fehlen. Von Rosa Parks, der störrischen schwarzen Busfahrerin auf dem Sitz "für Weiße", über Lucy Parsons, Mitbbegründerin der "Industrial Workers of the World", bis zu Dolores Huerta, die Organisatorin der Wanderarbeiterinnen. Dieses Eingeständnis verdient, dem Buch einen solchen Umsatz zu verschaffen, dass Grossman gezwungen wird eine Fortsetzung zu schreiben. Und vielleicht gibt es später eine Übersetzung ins Englische, damit sich auch die Leute in den USA erinnern, dass in ihrer Vergangenheit jede Menge Zukunft liegt. Deshalb ein kleiner, sachdienlicher Hinweis: Liebe Leserin, natürlich können Sie sich das kluge, zuweilen heitere und immer persönliche Buch auch selbst schenken oder schenken lassen.