Hasta la victoria siempre.
Patria o muerte.
Venceremos.
Gebet der Revolution
"Wer gegen das Schicksal antritt, kann manchmal natürlich auch verlieren", schreibt Alma Guillermoprieto über Fidel in ihrem Buch "Havanna im Spiegel" und man kann ihre Stimme aus den Zeilen zittern hören. Denn sie hält heute die kubanische Sache für verloren, würde aber ihren Atem dafür geben, wenn sie nicht verloren wäre. Mit kaum 20 Jahren verließ die anglo-mexikanische Tänzerin New York, um in Havanna Modern Dance zu unterrichten. Kaum aus politischer Einsicht entscheidet sie sich für das revolutionäre Kuba, eher aus der Lust irgendwo etwas Neues zu unternehmen, sich selbst zu finden oder den Zweck des Lebens. So ist ihr Rückblick voller Subjektivität. Wie aber sollte dem letzten sozialistischen Projekt gegenüber Objektivität möglich sein? Man hasst es oder man liebt es oder man ist voller Trauer.
Es gibt keine Spiegel in der Tanzschule der "Escuelas Nacionales de Arte" und der jungen Tanzlehrerin wird von einer eifrigen Revolucionaria erklärt, dass Spiegel, ein wesentliches Werkzeug der Tänzer, ein Symbol der Eitelkeit, der Dekadenz seien. Erst viel später erfährt Alma, dass es schlichter Geldmangel war, der den Einbau verhinderte. Mehr noch erfährt die Tanzlehrerin über sich selbst: Sie ist eine Yankee, auch wenn Ihre Mutter Mexikanerin ist, kommt sie doch aus den USA, die alles dafür unternehmen, die kubanische Revolution zu ersticken. "Wir sind ein Land und wir sind frei", ruft einer ihrer schwulen, kubanischen Freunde und dokumentiert am Rande wie kompliziert die kubanischen Verhältnisse waren und sind. Denn der kubanische Machismo ist ungebrochen homophob und die revolutionär-patriotischen Schwulen in Almas Umgebung werden das Land verlassen, einer nach dem anderen, das Land, das sie lieben.
Die eher unpolitische Tänzerin erleidet ihren Politschock in einem Kino: Zum ersten mal sieht sie Filme über den Krieg der Amerikaner in Vietnam, zum ersten mal fragt sie sich nach ihrem Anteil an Schuld und Verantwortung und am Widerstand: "Wie konnte ich nur zulassen, dass es passiert? Kleine Kinder starben, während ich bequem und mühelos in den Tag hinein lebte". Kein normaler, gerecht denkender Mensch jener Zeit konnte diesen Fragen, dieser Verantwortung entgehen, man musste seine Seite wählen. Die der Gefühlsmonster, die wie Willy Brandt polit-technokratisches Zeugs wie "Die Freiheit West-Berlins wird in Vietnam verteidigt" absonderten, oder die der vielen zumeist jungen Menschen, deren Platz auf den Straßen war, in Solidarität mit einem kleinen Land, das vom Tod bedroht schien.
Wer links war in den 60ern, der war der kubanischen Revolution verfallen: Dort hatte der spontane Sozialismus das Licht der Welt erblickt, der farbige, nicht so grob wie in der Sowjetunion und nicht so grau wir in der DDR. In Kuba, da wurde Ché geboren - nicht der wirkliche, der kam aus Argentinien - sondern die Zigarre rauchende Ikone. Mit der Baskenmütze auf dem lockigen Haar und immer jung: So wollte man selbst sein und die Welt verändern. Die Welt veränderte sich schon und man selbst auch. In Kuba gab es diesen unglaublichen Fidel Castro, der die Kubaner in Trance versetzen konnte, selbst mit schlechten Nachrichten. Alma hört ihn, als er auf der Placa de la Revolucion die Niederlage verkündet: Nein, sie hatten das gesteckte Ziel in der Zuckerernte, das sie unabhängig von der Sowjetunion machen sollte, nicht erreicht, und ja, er, Fidel war dafür verantwortlich und das Volk sollte, rief er ihm zu, besser einen anderen Führer finden als ihn: Ein tausendfaches "Nein" schlägt ihm entgegen, wie sollten sie weiter leben ohne ihn?
Es gab schon damals Bespitzelungen, Mikrofone in den Hotels, Denunziationen, unausgesprochene Kontaktverbote und eine galoppierende Intellektuellenfeindlichkeit. Die Kirche des Sozialismus vertrug keine Zweifel obwohl ihre Herkunft der Zweifel war. Die besseren kapitalistischen Länder vermochten ihre zweifeldnen Intellektuellen zu besänftigen, auf dem "langen Marsch durch die Institutionen" wurden sie mit Posten versehen und ihnen Spielwiesen angelegt. Die armen Länder nahmen den Weg der Repression oder, wenn sie über eine anspruchsvolle Vision verfügten, den der Unterwerfung. Alma Guillermoprieto dokumentiert eine solche Zeremonie der Unterwerfung des Verstandes unter den Glauben mit einer Runde diskutierender Intellektueller in ihrem Buch. Nicht wenige Teilnehmer der Debatte finden sich Jahre später auf der anderen Seite, in anderen Ländern. Tragisch das Ende eines der Teilnehmer der Diskussion, des salvadorianischen Dichters Roque Dalton: Er wird von seinen Genossen der salvadorianischen Widerstandsbewegung als "CIA-Agent" ermordet, ein Verdacht, den sogar Castro zurückwies.
Einmal noch flackerte die Hoffnung einer veränderten, besseren Welt auf, als in Chile mit Salvador Allende ein Sozialist mit dem Stimmzettel, ohne bewaffneten Kampf, an die Macht kam: "Er war" schreibt die Autorin, "das genaue Gegenteil von Fidel. Der Kubaner war ungestüm und verlangte absolute Loyalität. Der Chilene wirkte wie ein guter Onkel." Wahrscheinlich wurde der unbewaffnete Weg zum Sozialismus, über dessen Echo die Autorin aus Kuba berichtet, überall von denen diskutiert, die sich für Revolutionäre hielten oder sogar solche waren. Die Geschichte händigt uns ein kompliziertes Urteil aus: Die Revolution des guten Onkel wurde bald im eigenen Blut erstickt, und wenn der Ungestüme auch noch lebt, ist von seinen Zielen und Träumen nicht viel übrig geblieben: Das Bildungs- und Gesundheitswesen ist beispielhaft für Lateinamerika, der Repressions-Apparat allerdings kaum.
Alma Guillermoprieto wird nicht zum Tanzen zurückkehren. Sie wird sich schreibend um die "Leiden der Welt" kümmern. Sechs Monate in Kuba haben ihr Leben verändert und ihren Blick geschärft. Auch wenn sie den kubanischen Versuch mit Melancholie betrachtet - der Dollar ist praktisch offizielles kubanisches Zahlungsmittel, die Rückkehr der Prostitution ist Alltag - ist er ihr doch näher als eine "grauenhaft moderne Welt", deren temporäre Sieger der Mehrheit der Menschen Tag für Tag jene Niederlagen bereiten, die Krieg heißen und Hunger und Unrecht. Vencermos, wenn nicht jetzt, dann eben später.