Roman Polanski steht bereits unter Anklage. Eine weitere könnte folgen, wenn Tony und Cherie Blair, der britische Expremier und seine Frau, den neuen Film des Regisseurs "Ghostwriter" gesehen haben. Kaum durch eine fiktionale Filmerzählung verbrämt, werden einige Aspekte des Lebens der Blairs entblättert. Es geht um den Irak und um Kriegsverbrechen. Auch wenn der Londoner Irak-Untersuchungsausschuss, von dem Blair jüngst befragt wurde, zu keiner Verurteilung des ehrenwerten, früheren Premiers kommen sollte: Polansksi Film brandmarkt die Eheleute seines Film als gewöhnliche Verbrecher mit ungewöhnlichen Möglichkeiten.

Ein professioneller Ghostwriter, cool und harmlos zugleich, von Ewan McGregor dargestellt, soll die Memoiren eines ehemaligen britischen Premierministers fertigstellen. Der Mann, der bisher am Manuskript gearbeitet hat, ist plötzlich verstorben, alles zwischen Unfall und Selbstmord scheint möglich. Für keine Sekunde lassen Kamera und Musik den Glauben an eine trockene Geschichte über das Schriftsteller- Business zu. Und wenn man sonst nicht gerne zu früh auf die unweigerlich spannende Entwicklung aufmerksam gemacht wird, saugt die Kamera diesmal den Zuschauer widerspruchslos in den Film, klebt die Musik den Kinogänger ohne dessen Protest auf den Sitz. Was da von Beginn an ausgebreitet wird, ist die hohe Kunst der Filmverführung, die Meisterschaft eines großen Filmemachers, gleich wie klein und hässlich sein Privatleben aussehen mag.

Auf eine Insel an der Küste der USA - Martha´s Vineyard, dort, wo die Kennedy-Sippe ihren Feriensitz hat - hat sich der Premier zurückgezogen, um sein Buch fertigzustellen. Es ist die kalte, scheinfreundliche Atmosphäre der Macht, die durch das beeindruckende Ferienhaus wabert. Und es sind zwei unglaublich gute Schauspielerinnen, die dem Spiel eine blank polierte Oberfläche geben, von der man ahnt, dass darunter gefährlicher Dreck lauert. Kim Catrall, mit knappen Gesten, knappem Rock und scheinbar kargem Gemüt, gibt die persönliche Assistentin des Premiers, die, wie sich ziemlich früh herausstellt, eine sehr persönliche Assistentin ist. Die Frau des Premiers, das eigentliche politische Gehirn des kleinen Trust, wird von Olivia Williams mit dieser kühlen Leidenschaft dargestellt, die den Zuschauer lange Zeit in jenem Unklaren lässt, das die Crime Story braucht und worauf jede gute Verschwörung nicht verzichten kann.

Die Arbeit des Ghostwriters hat auf der winterlich-stillen Insel kaum begonnen, da platzt in der scheinbar fernen Welt eine Medien-Bombe: Es gibt schmutzige Enthüllungen über einen widerlichen Premier und einen dreckigen Krieg. Pierce Brosnan, der den Premier eher lebt als spielt, dreht all seine Qualitäten auf, um die Situation in den Griff und seinen Ghostwriter ins wackelnde Boot zu bekommen, um sein Kentern zu vermeiden. Als hätte Brosnan nie den Bond gespielt, changiert seine Figur zwischen treuherzig und aalglatt, vom zerstreuten Kumpel bis zum hinterhältigen Saukerl, dass es ein perverses Vergnügen ist. Die Handlung nimmt immer heftiger Fahrt auf, die dünnen Erkenntnisfäden werden weiter verwirrt und während der Zuschauer noch nach Atem ringt, steuert der Film auf eine Auflösung zu, die so sehr dem wirklichen Leben abgeschaut ist, dass man sie für banal halten könnte wenn wir nicht alle wüssten, dass die Realität fast immer krimineller ist als die Crime Story.


DER BERLINALE-ERÖFFNUNGS-FILM: TUAN YUAN

Falls der Film "Tuan Yuan" des chinesichen Regisseurs Wang Quan´an einen tieferen Sinn haben sollte, kann es sich nur um die alte deutsche Bauernweisheit handeln: Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.


Vor mehr als fünfzig Jahren hatte sich das Liebespaar aus Shanghai trennen müssen: Er gehörte zu den nationalistischen Truppen, die vor der Roten Armee das Weite suchen mussten und nach Taiwan flüchteten. Sie gehörte zu ihm, blieb aber auf dem Festland und arrangierte sich: Mit einem Unteroffizier der kommunistischen Armee gründete sie eine neue Familie. Nun kommt der Geliebte zurück und hätte sie gerne mit sich genommen, auf die reichere und feindliche Insel. Die Bilder des Films sind auf der Guckkasten-Bühne entstanden, die Dialoge im Radio, aber wenn es schon den Riechfilm gäbe, dann wäre das Kino erfüllt von all den schönen Gerüchen, denn im Film wird gekocht und lecker eingekauft und eingekauft und lecker gekocht. Ansonsten nehmen es die Chinesen (im Film) eher praktisch: Ja wenn sie denn nach Taiwan will, sagt der aktuelle Mann, dann soll der ehemalige sie doch mitnehmen. Es geht nachher anders aus, aber wer will das wirklich wissen?


Zu gerne wüsste man, was die Berlinale-Oberen geraucht haben, als sie ausgerechnet dieses Werk zum Eröffnungsfilm des Wettbewerbs machten. Eingeweihte sagen es war ein Versehen, er sollte eigentlich die Reihe "Kulinarisches Kino" eröffnen, dann sei man zum Chinesen gegangen, habe ordentlich Reiswein getrunken und irgendwie alles durcheinandergebracht. Aber trösten kann das niemanden.