Die Berlinale wirft ihre Filme voraus: Um den Journalisten zu ermöglichen, die Fülle der Filme (399) des Festivals (vom 7. - 17. 2. 2013) zu sehen, zeigen die einzelnen Sektionen einige Arbeiten vorab. Darüber berichtet die RATIONALGALERIE in loser Folge.
Israelische Soldaten haben es schwer, erzählt uns der Film "Rock the Casbah" von Yariv Horowitz. Es ist der Sommer 1989 in Gaza, die Kompanie der Besatzungssoldaten patrouilliert durch die feindlichen Palästinenserstraßen. Immer wieder werden die jungen Soldaten mit Steinen beworfen, aber sie bleiben freundlich, scherzen mit den Kindern, die sie auf dem Weg treffen, werden ermahnt nur ja nicht zu früh zu schießen und wenn, dann möglichst nur mit Hartgummigeschossen. Seht, behauptet der Film, die Israelis verteidigen sich völlig human. Nur wenn ein Molotowcocktail geworfen wird, dürfen sie, sagt ihnen der schneidige Kompaniechef, mit scharfer Munition antworten. Die Steinewerfer sind noch jünger als die Soldaten. Als einer von Ihnen einen der Patrouillengänger trifft, geht eine wilde Jagd los. Beinahe hätten die Militärs den Täter erwischt, da wird von einem der Dächer eine Waschmaschine heruntergeworfen und trifft ein Mitglied der Kompanie tödlich. Er wird der wesentliche Tote des Films bleiben.
Im langandauernden Krieg Israels gegen die ursprünglichen Bewohner des Landes hat es viele Tote gegeben. Israelische Opfer werden - auch und gerade in deutschen Medien - sorgsam gezählt. Dass auf jeden toten Israeli mehr als hundert tote Palästinenser kommen, könnte trotzdem bekannt sein. Der Regisseur von "Rock the Casbah", der für die israelische Armee in den besetzten Gebieten als Fotograf gearbeitet hat, muss die wirklichen Zahlenverhältnisse aus der Nähe gesehen haben. Aber beharrlich dreht sich der Film um diesen einzigen Toten. Und wenn doch mal ein Palästinenser stirbt, dann eben als Folge des Attentats: Selber schuld. Um ihren Kameraden zu rächen, um den Waschmaschinen-Attentäter zu fassen, werden vier Soldaten auf dem Dach eines palästinensischen Hauses postiert, von dem aus sie die umliegenden Straßen überwachen. Mitten in einem Meer von Feinden leben die Vier wie auf einer Insel, es ist ihre Sicht, aus der wir einige wenige Tage im umkämpften Gaza erleben. Der Film hat sich selbst embedded.
Wegen dieser freiwilligen Einbettung in die ausschließlich israelische Sicht der Dinge kommt das Wort "Intifada" im Film nicht ein Mal vor, obwohl er in der Zeit der Intifada spielt, während des großen, aufständischen Streiks der Palästinenser gegen die Besatzungsarmee. Es kommt nicht vor, dass die wegen des Streiks geschlossenen Geschäfte gewaltsam von den Besatzern geöffnet wurden, es kommt nicht vor, dass 8.000 israelische Siedler 40 Prozent des Landes okkupiert hatten, während sich die mehr als eine Million Palästinenser, abgeschnitten von ihren Küsten und Feldern, im Rest des Landes drängelten. Kein Bild von den unzähligen gebrochenen Armen und Beinen jener Kinder, die von den israelischen Soldaten für ihre Steinwürfe auf Befehl der Armeeführung "bestraft" wurden. Keine Erwähnung der Tatsache, dass 30 Prozent dieser Kinder jünger als zehn Jahre waren, 20 Prozent jünger als fünf. Auch der Verteidigungsminister Israels wird nicht zitiert, der damals sagte: "Es ist unsere Absicht, möglichst viele von ihnen zu verwunden ... Verletzungen zu verursachen, ist genau das Ziel der Verwendung der Plastikkugeln." Dass wir von den tausenden Oliven- und Obstbäumen nichts erfahren, die von Israelis abgehackt wurden, um den Palästinensern ihre Lebensgrundlage zu nehmen, versteht sich dann fast schon von selbst.
So dürfen wir, mitten in einer in Wahrheit brutalen Strafaktion der israelischen Armee, das Leid der jungen Soldaten erleben: Wie sie von palästinensischen Kindern mit Gesten und Worten schwerst provoziert werden, wie sie mit ihrem Heimweh umgehen, wie gut gestylt der Oberkörper ihres Kommandeurs ist und wie nett die Popgruppe israelischer Soldatinnen die Kameraden mit ihrem Auftritt unterhält, inmitten einer malerischen Militär-Zeltstadt. Nein, der Film verschweigt nicht, dass es zuweilen auch heftig zugegangen ist: Wenn die Tür des Hauses, auf dem die vier Rächer ihren Dienst versehen, immer und immer wieder aufgebrochen wird, erleben wir, dass die Besatzung manchmal auch ruppig war. So ganz ohne ein Zipfelchen Realität kann man heute keinen Militärfilm mehr verkaufen. Auch jene ältere Palästinenserfrau, die immer wieder nach ihrem verschwundenen Sohn fragt, ist als running Schock in den Film eingebaut. Aber solche vereinzelte Szenen geben der Arbeit nur den Anstrich von Wahrhaftigkeit, um ihre Botschaft besser verkaufen zu können: Israelische Soldaten haben es schwer. Warum das so ist, dass will der Propagandafilm für die Besatzungsarmee dann aber lieber doch nicht erzählen.