Es ist eine schöne neue Welt, die Thomas Sautner in seinem Roman "Fremdes Land" entstehen lässt: Die Bürger des fremden Landes werfen Feelgood-Pillen ein, um den Tag zu überstehen, auf der P-Card jedes Einzelnen sind alle seine Daten konzentriert, eine freiwillige Bürger-Security kontrolliert Straßen, Plätze und öffentliche Verkehrsmittel, es geht im täglichen Leben um immer mehr Sicherheit. Natürlich zum Wohle des Bürgers. Sagt die Regierung. Längst ist die Rente mit 80 eingeführt und die Moslems leben in Separation, haben eigene, genau kontrollierte Viertel und tragen grüne Bänder am Handgelenk. Wem das bekannt vorkommt, der sollte Herrn de Maizière bereits verdächtig sein.
Das Muster von "Fremdes Land" ist bereits in Aldous Huxleys "Brave New World" entwickelt. Doch gewinnt Sautner eine neue Erzählperspektive, wenn er aus dem Inneren der scheinbaren Macht erzählt: Es ist Jack Blind, der als Stabschef des neuen Präsidenten von seinem eignen Aufstieg und Fall Zeugnis ablegt und davon, dass die vermeintlich politische Macht in anderen Händen liegt, als das System es vorgibt. Schritt für Schritt und sehr mühsam verläuft der Erkenntnisprozess des Jack Blind, nur schwerfällig lernt er am Schicksal seiner Schwester, die sich auflehnt, dass er in Wahrheit machtlos ist und nur durch Anpassung bis zur Unkenntlichkeit jenen Hauch von Freiheit gewinnt, den er sich im selben Atemzug wieder verbietet.
Dieser zähe Prozess der Erkenntnis hat den Nachteil, dass der Leser der zentralen Figur des Buches immer einen Schritt voraus ist. Und doch gibt es einen Gewinn aus der langsamen Blödheit des Jack Blind: Sautner macht mit ihm deutlich, dass der Prozess mentaler Versklavung - durch die Orientierung auf den Konsum und die Angst vor Unsicherheit - in relativer Freiwilligkeit geschieht: "Angst", sagt Jacks Vater, "schaltet den Verstand aus. Angst akzeptiert radikale Maßnahmen gegen vermeintliche Risiken ebenso wie gegen Mitmenschen, von denen angeblich Risiko ausgeht. Angst akzeptiert auch persönliche Einschränkungen. Angst führt zum Wunsch nach staatlicher Kontrolle, nach Prävention, nach konsequenter Sicherheit."
Die Fiktion hat es schwer die Realität zu übertrumpfen. Wer sich das Sicherheitsballet an den Flughäfen vor Augen führt: Schuhe aus, Gürtel ab, Hose in der Hand, Nasentropfen auf den Müll, Demut vor der Abtastung, Unterwerfung unter den Nackt-Scanner, der weiß, zu welcher Sklavenhaltung Angst führen kann. Weniger komisch ist ein wachsender Ausländerhass im Ergebnis der sarrazynistischen Angstkampagne: Mehr als 30 Prozent der Deutschen finden zur Zeit, dass "die" Ausländer den Sozialstaat ausnutzen, eben so viele wollen sie nach Hause schicken und mehr als die Hälfte finden, die Religionsausübung der Muslime sollte eingeschränkt werden. Da ist der "Führer" nicht mehr weit: Den wollen 13 Prozent haben.
Der "Führer" in Sautners Arbeit heißt "Der Vertreter" und ist so etwas wie der Gesamtlobbyist. Nichts an ihm ist brutal, sein Methoden liegt in der Aufzählung der Vorteile, die er verspricht, wenn man auf ihn hört. Und natürlich hat die Atom-Lobby es nur gut gemeint, wenn sie die Verlängerung der Laufzeiten fordert, selbstverständlich geht es der Banken-Lobby um die Freiheit aller, wenn sie schärfere Regelungen und Kontrollen ablehnt und ganz sicher geht es der Rüstungs-Lobby nur um die Sicherheit Deutschlands. - Das verblüffende Ende von "Fremdes Land" ist zugleich tief deprimierend. Es bleibt zu hoffen, dass dem Autor wenigstens hier kein Vorentwurf der künftigen Wirklichkeit gelungen ist.