Die Methode nennt man die "Voyeurs-Empörung" und sie geht so: Jemand, zumeist eine Frau, manchmal ein Kind, wird bestialisch umgebracht (erniedrigt, gefoltert, missbraucht). Das ist empörend sagt die Bildzeitung. Und dann zählt sie jede Einzelheit auf, schmutzige Einzelheit für schmutzige Einzelheit, wenn es geht mit Fotos, die jedes Detail zeigen. Und je detaillierter der Bericht, je dreckiger die Einzelheit, um so sicherer bekommt er einen ordentlichen Platz im Blatt. Denn je niedriger der Instinkt, an den die Redaktion appelliert, um so höher ist die verkaufte Auflage.
Weil der "Stern" auch gerne eine gute Auflage hat, hält er sich Leute wie Walter Wüllenweber. Der dauergeföhnte Autor übt sich schon lange in neoliberalen Klischees, wenn er über den "Missbrauch des Sozialstaates" schreibt und unter dem Titel "Ihr gegen uns" den Älteren empfiehlt: "Arbeitet länger! Haltet Euch raus! Stellt Euch nicht quer bei allen Reformen!" Konsequent kommt er dann auf die originelle, wahrscheinlich vom großen Sozial-Theoretiker Westerwelle abgeschriebene, These: "Sozialabbau ist Abbau von Ungerechtigkeit". Um diese Schlagzeile zu übersetzen: Nehmt den Armen, gebt den Reichen, das ist gerecht. So weit so schlecht, aber für die deutschen Mainstream-Medien nicht ungewöhnlich genug.
Weil Wüllenweber aber ein Hang zur Verhaltensauffälligkeit hat, wenn sie denn der Auflage nutzt, lässt er im letzten "Stern" die voyeuristische Sau raus. Unter der Überschrift "Voll Porno", natürlich mit einem einschlägigen Bild garniert, nähert er sich den Zehn- oder Vierzehnjährigen, mit der Schokolade der Besorgnis in der Hand, um sich an solchen Sprachbildern aufzugeilen: "Viele (Betreuer) trauen sich nicht mehr, 14-Jährige längere Zeit alleine im Raum zu lassen. Sie fürchten, bei ihrer Rückkehr Jungs mit heruntergelassenen Hosen vorzufinden. Und davor kniende Mädchen". Nicht, dass Wüllenweber mehr erzählen könnte als Einzelbeispiele. Aber in seiner behinderten Fantasie rechnet er hoch, bis er auf ganze sieben Seiten des "Stern" kommt, die vom Porno-Konsum und seinen Folgen handeln.
Weil aber Porno als Reizthema und Auflagensteigerer alleine nicht mehr ausreicht, muss die von Wüllenweber besonders gehasste Unterschicht als Porno-Dauer-Nutzer und Kinderverderber denunziert werden: "Die Beziehungen verändern sich rasant, insbesondere in der Unterschicht. Die Männer sind häufig nicht mehr die Ernährer der Familie. Diese Rolle übernimmt immer öfter der Staat. Das macht es den Partnern leichter, sich zu trennen", erzählt uns der Redakteur und hat damit die soziale Fünf-Minuten-Analyse fertig auf dem Tisch: Bleibt zusammen bis der Tod Euch scheidet, zahlt getrennt Lebenden keine Sozialknete, dann wird der Porno-Konsum geringer. Wo er recht hat, hat er recht: Als der spanische Maler Goja um 1800 die "Nackte Maya" fertiggestellt hatte, wurde, an Scharnieren befestigt, eine Maja voll bekleidet davor gehängt. Und das damals als durchaus pornographisch begriffene Bild war nur wenigen Adeligen zugänglich.
"Pornographie wird zur Leitkultur der Unterschicht", zitiert Wüllenweber den Professor Jakob Pastkötter, immer wieder gerne aus dem Zusammenhang gerissen, um irgendwas zu beweisen. Und wenn der Wüllenweber recht haben wollte, könnte er, diesmal sogar auf echte Statistik gestützt, feststellen: Die meisten Eigentumsdelikte werden von der Unterschicht verübt. Na klar: Wer reich ist, muss nicht klauen, wer Geld hat, kauft sich Frauen oder Männer. Und es müssen, wenn wir die Klatschspalten lesen, keineswegs immer Huren sein, so mancher oder manche prostituiert sich auch auf einer komplizierteren Ebene. Wo wir wieder bei Walter Wüllenweber wären, dem wir einen kleinen Rat geben wollen: Wenn Sie wieder mal dringend auf eine Schmuddelstory onanieren wollen, müssen Sie die doch nicht gleich veröffentlichen.