Doktor Gniffke, Chef von ARD-aktuell und Chef der Tagesschau, spricht an der Hamburger Journalisten-Schule: „Heute, meine Damen und Herrn, spreche ich zum Thema Mut und Geben. Ihre Schule ist folgerichtig nach dem unvergesslichen Henri Nannen benannt. Das war jener berühmte Herausgeber der Illustrierten „Stern“, unter dessen Patronat die gefälschten Hitler-Tagebücher auf den Merkt gekommen sind. So geht Journalismus auch heute: Trickreich fälschen und intelligent verkaufen, sich über Sprache und Wahrheit hinwegsetzen, um jede Menge Kohle zu machen. Schüler, die aus diesem mafiösen Stall kommen, sind der Branche ein Wohlgefallen. Nicht zuletzt sind sie auch bei uns, bei der Tagesschau, herzlich willkommen.“ Beifall brandete Am Stubbenhuk 10 in Hamburg auf. Junge Gesichter glänzten erwartungsfroh. Denn man wusste, Absolventen dieser vom Gruner+Jahr-Verlag, dem ZEIT-Verlag und dem SPIEGEL-Verlag betriebenene Schule wurden mit Kusshand genommen.

„Mut“, sprach Doktor Gniffke weiter, „Mut gehört zu unserem Beruf schon dazu. Denn einerseits verpflichtet uns unser Ethos zur Wahrheit, andererseits sind Journalisten ihren Anzeigenkunden verpflichtet. Und wir vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Politik, die Jahr für Jahr die ungeliebten Gebühren locker machen muss. Deshalb kann es sich nur um Mut mit Augenmaß handeln. Und so landen wir immer wieder gern beim Begriff „mutmaßlich“ wenn wir was behaupten wollen, aber das nicht so direkt behaupten dürfen. Und deshalb Nutzern wir einen Ausdruck, der schön nahe am Wort „vermutlich“ liegt. Das aber wäre justiziabel, wenn wir zum Beispiel sagen würden, dass die Russen, ‚vermutlich‘ irgendeine Wahl beeinflusst hätten. Da könnte doch der Russische Botschafter glatt einen Beweis fordern, und den haben wir einfach nicht.

Natürlich könnten wir auch das schöne Wort „angeblich“ benutzen. Aber dieser Begriff hat den Ruch des Unbewiesenen. Das würde zwar im Fall der angeblichen Wahlfälschung die Wahrheit treffen. Aber das wollen wir selbstverständlich nicht. Die Wahrheit – das wusste Henri Nannen und das wird Ihnen hier beigebracht – kann ganz schön gefährlich sein: Sie kann Anzeigen kosten oder ein vertrauliches Gespräch mit der Kanzlerin oder die Teilnahme beim Bundespresseball. Und so müssen wir Ihnen dringend empfehlen, mit dem Mut in Maßen umzugehen und lieber Ihren Ethos aufzugeben. Deshalb kann ich Ihnen mit auf den beruflichen Weg geben: Lieber beim Russen sein Mütchen kühlen - als öffentlich mit der Wahrheit angeben!“

Programmbeschwerde
AgitProp - Manafort
http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-22489.html

Sehr geehrte Rundfunkräte,

ist Ihnen an folgendem Tagesschau-Text (30.10. 2017, 20 Uhr) wirklich nichts aufgefallen?
Fast ein Jahr nach den US-Präsidentschaftswahlen haben Untersuchungen des FBI Sonderermittlers Muller  zu ersten Anklagen geführt. So werden Trumps früherem Wahlkampfmanager Manafort eine Reihe von Finanzverbrechen vorgeworfen. Ob die Anklage in einem direkten Zusammenhang zur mutmaßlichen Einflussnahme Russlands auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl steht, ist unklar. Um einer Festnahme zuvorzukommen, hatte sich Manafort heute den US-Behörden in Washington gestellt. Bei einer öffentlichen Anhörung plädierte er in allen Anklagepunkten auf „Nicht schuldig“.
Das klang normal und sachlich. Und war dennoch miese Propaganda. Sie steckt in einem einzigen falschen Wort, und zwar in diesem Satz:
Ob die Anklage in einem direkten Zusammenhang zur mutmaßlichen Einflussnahme Russlands auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl steht, ist unklar.
Bedingt einwandfrei wäre dieser Satz nur dann gewesen, wenn er folgendermaßen gelautet hätte:

Ob die Anklage in einem direkten Zusammenhang zur angeblichen Einflussnahme Russlands auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl steht, ist unklar.
Kleiner Unterschied, aber große Wirkung: Das Wort „mutmaßlich“ transportiert eine Stellungnahme des Übermittlers zur Behauptung, es zeigt an, dass der Berichter die Behauptung für wahrscheinlich zutreffend hält. Mit „angeblich“ wäre die fragliche Behauptung nur neutral wiedergegeben worden als das, was sie ist: eine bloße Behauptung (von interessierter Seite).
„Bedingt einwandfrei“ schrieben wir hier einschränkend. Denn die grassierende journalistische Seuche, sich ungehemmt auch über Sachverhalte zu verbreiten, über die sich nichts Konkretes sagen und von der sich nichts belegen lässt, gilt auch für diesen Hinweis auf russischen Cyber-Krieg. Distanzloser Nachvollzug der US-Hysterie, bei der Präsidentenwahl habe es entscheidenden Einfluss aus dem Ausland gegeben. Alles, was bisher über die vorgebliche Rolle Russlands im US-Präsidentschaftswahlkampf mitgeteilt wurde, reichte jedoch über das Stadium von unbelegten Behauptungen nicht hinaus. Immer und immer wieder haben wir daran erinnert, dass sich im Cyberkrieg nichts „beweisen“ lässt, weil Unterschiede zwischen echten und künstlich gelegten Spuren nicht zu definieren sind. Die AgitProp-Masche, das Thema ständig präsent zu halten, obwohl sich keine neuen Gesichtspunkte dazu ergeben, wird unbeirrt weitergestrickt.

Das ist und bleibt Pseudoinformation anstelle notwendiger Unterrichtung. Zum Beispiel wies ARD-aktuell nicht darauf hin, dass Muller seine Anklage vor einer Grand Jury vorbringt, vor einem Geheimgericht also, das nach geradezu mittelalterlich anmutendem Prozessrecht verfährt. Namhafte US-Rechtswissenschaftler kritisieren die Grand Jury als justiziellen Skandal.
ARD-aktuell hat den Auftrag, umfassend und sachlich zu unterrichten. Doch auch im vorliegenden Fall erfüllte die Redaktion diese Aufgabe nicht. Es ist unerheblich, ob mit der irreführenden Wortwahl willentlich propagandistische Ziele verfolgt oder ob nur aus purer Schlamperei Agenturmaterial kritiklos verbraten wurde. Objektiv liegt ein Verstoß gegen den Programmauftrag und die Programmrichtlinien vor.

Mit freundlichen Grüßen

Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer

Das Hilfe-Buch für Rundfunkräte:

http://shop.papyrossa.de/Gellermann-Uli-Klinkhammer-Friedhelm-Braeutigam-Volker-Die-Macht-um-acht