Sie sind schon länger angekommen: Thomas Schmid, das einstige Gründungsmitglied der Gruppe "Revolutionärer Kampf" und ökolibertärer Vordenker der GRÜNEN, ist seit ein paar Tagen bei Springer Chef aller WELT-Titel. Und Peter Schneider, der ehemalige Sekretär des Springer-Tribunals, das sich nach dem Mord an Benno Ohnesorg gründete, ist Schriftsteller und einer der Unterstützer des Afghanistan-Krieges. Sie treffen sich, vierzig Jahre nach den Aktionen gegen den Springer Konzern, in der Zeitung Die WELT und bereuen. Ihre wilde Jugend, ihre Irrtümer und vielleicht auch, dass der Weg von der revolutionären "Führerfigur" zum arrivierten Bürger nur ein langer Umweg zur Institution war.

Thomas Schmid hatte schon jüngst im eigenen Blatt eine schwarz-grüne Koalition angemahnt, die überfällig sei, weil beide Parteien auf ein stolzes Bürgertum setzten und deshalb gemeinsam gegen den "Sozialkonservatismus", was der Neusprech für soziale Gerechtigkeit sein wird, vorgehen könnten. Der WELT-Chef, zumindest halbgebildet, mag sich weder mit dem Versagen des deuschen Bürgertums in der 48er Revolution aufhalten noch dessen wohlfeiler Unterstützung der Nazis. Schmid ist in den Schoß der bürgerlichen Familie zurückgekehrt. Das trägt ihm sicherlich einen auskömmlichen Verdienst, aber auch einen krummen Rücken ein. Denn immer wieder muss er, aus tief gebeugter Haltung, abschwören: "Man konnte und manche mussten die Bewegung von 1968, als Gefahr und Bedrohung sehen", schreibt er in seinem Rückblick auf die Ereignisse des legendären Ostern 1968, der Blockierung der BILD-Zeitungsauslieferung, und auch wenn er einige Reaktionen der Springer-Zeitungen jener Zeit für "überzogen" hält, weiß er doch, dass "die genaue Lektüre der Zeitungen des Hauses auch zeigt, dass oft sehr viel differenzierter und ausgewogener berichtet wurde."

Auf diese Ausgewogenheit treffen wir dann auch weiter hinten im Blatt, in einem Gespräch zwischen dem Vorsitzenden der Axel Springer Stiftung und dem Schriftsteller Peter Schneider. Mit gespitztem München findet der immerhin die damalige Überschrift der BILD-Zeitung "Stoppt den Terror der Jung-Roten! Jetzt!" schon "problematisch". Schneider, der sich gut erinnert, dass er "damals" Steinwürfe auf die "Morgenpost"-Filialen in Berlin ablehnte, empfindet den von den Springer-Blättern propagierten Vergleich mit der Reichskristallnacht "heute als peinlich". Nicht hetzend, nicht demagogisch, nicht als das, was er bewirkte: Eine Fanatisierung der braven Bürger, die vom Aufhängen der Studenten sprachen und im Hilfsarbeiter Josef Bachmann, dem Dutschke-Attentäter, ein williges Werkzeug fanden. Ein kleiner Blick in einen neuen "Morgenpost"-Artikel, zur Erinnerung an Ostern 1968, hätte dem Schriftsteller einen Hinweis auf die unbeirrte Haltung des Springer-Konzerns geben können: "Der Anschlag auf Dutschke verschafft ihnen (den Gegnern des Springer-Konzerns) Handlungsspielraum." Das Bedauern über einen Mordanschlag hält sich bis heute in Grenzen.

In Grenzen halten sich auch die intellektuelle Qualität und die Moralvorstellung des Schriftstellers Peter Schneider, der die schlechte Leistung der deutschen Fußballmannschaft während der Europameisterschaften unmittelbar auf die mangelnde "Reform"-Bereitschaft der Deutschen zurückführte. Zu einer "Schicksalsfrage" stilisierte er in einem SPIEGEL-Artikel die Durchsetzung der Agenda 20/10. Als "brutale Politik", wertete er "das starre Festhalten an nicht mehr finanzierbaren Sozialausgaben" und klagte einen "landesweiten wirtschaftlichen Sturmlauf" ein, der mit dem besseren Abschneiden der deutschen Fußballer einhergehen könne und, unausgesprochen aber gemeint, auch mit Hartz IV. Seine Erfahrungen als Hilfsarbeiter bei Bosch, als Peter Schneider in ferner Vergangenheit noch eine proletarische Linkspartei aufbauen wollte, haben dem Autor offenkundig eine feine Distanz zum Prekariat eingetragen: Fraglos lebt es sich im Wohlstand angenehmer.

Auch Thomas Schmid ist aus seinen Versuchen, die Opel-Arbeiterschaft einst zu einem linken Projekt zu bekehren, in einen neuen Glauben gefallen: Ein Bekenntnis zum "Thatcherismus mit menschlichem Antlitz" der Angela Merkel hatte es ihm angetan. Da konnte es nicht ausbleiben, dass er einen Kongress der Sozialausschüsse der CDU als "Büttenreden von Verlierertypen" bezeichnete, nur weil die dem offenen Neoliberalismus der CDU-Führung eine soziales Feigenblatt umhängen wollten. In der Neo-Nazi-Zeitung "Junge Freiheit" mochte Schmid folgende Weisheit absondern: "Es ist aber sicher wahr, dass die Achtundsechziger bei weitem nicht so radikal mit den Tendenzen der Zeit über Kreuz waren, wie sie mit revolutionärem Pathos gerne taten ... Keines ihrer erklärten Ziele hat die Bewegung von 1968 erreicht, und das ist ihr paradoxester Erfolg." Was uns Schmid sagen will, sollte er besser in der Ich-Form äußern: Ich hab es nicht so ernst gemeint, damals. An meine Ziele kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Mein Erfolg ist nicht paradox, sondern konsequent. Ich wollte immer was führen, jetzt führe ich die WELT.

Was machst Du denn vierzig Jahre danach? Ich schwöre ab. Und wo? Natürlich in der WELT. Diese verschmockte Haltung der Dauerkronzeugen könnte Mitleid erzeugen. Immerhin muss es anstrengend sein, ständig zu erklären, man habe es nicht so gemeint und peinlichst jeden aktuellen Bezug der 68er Bewegung zur heutigen Republik zu vermeiden: Die damalige Forderung, Arbeiterkindern Zugang zur Universität zu verschaffen und die Verbindungslinie zu aktuellen sozialen Disproportionen an den Hochschulen mögen die Abschwörer nicht sehen. Die Beziehung zwischen der Bewegung gegen die Notstandsgesetze und dem damaligen Innenminister, der, erst NSDAP- dann CSU-Mitglied, in der Telefon-Abhöraffaire den Satz prägte "Verfassungsschützer können nicht ständig das Grundgesetz unter dem Arm tragen" und einem heutigen Innenminister, der das Grundgesetz zum Abschuss freigeben möchte, wollen sie nicht herstellen. Den Zusammenhang zwischen der Haltung der 68er gegen den kalten Krieg, nicht wegen der schönen Augen der Sowjetunion, sondern um die kalten Folgen im Inneren der Bundesrepublik zur Entspannungspolitik zu wandeln und der Militarisierung der deutschen Außenpolitik heute, ist den Wechsel-Intellektuellen nicht transparent. Es ist die bewusste Verweigerung, das Damals im Heute zu begreifen, um den Verlust an Charakter zu bemänteln, die den Herren Schneider und Schmid die seltene Auszeichnung eines Schmocks ex aequo zuspricht.

Jener WELT am Sonntag, in der das beschriebene Bekenntnis-Theater stattfand, liegt das elegante, mit Edelprodukt-Anzeigen gepflasterte Supplement ICON bei, ein »Stil Magazin«. Eine der Anzeigen, ausgerechnet die von ROLEX, einer auch bei Zuhältern populären Uhr, kommentiert ungewollt die Ergüsse von Schmid und Schneider mit dem Slogan: »Klasse ist zeitlos«. Zeitlos ist die Kluft zwischen Unten und Oben. Zeitlos ist die Entsolidarisierung jener, die hoffen, es von der einen Klasse in die andere geschafft zu haben. Und zeitlos ist der Versuch, den Wechsel von der einen auf die andere Seite als modern, als überlegene Haltung auszugeben. Obwohl er doch nichts anderes ist als ein Prolongation eines faulen Wechsels auf eine ungewisse Zukunft.

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