Also ich habe dieses Glyphosat nicht beim Essen rausgeschmeckt“, rief Chefredakteur Doktor Gniffke stolz in die Redaktion der Tagesschau. „Das ist der Beweis, entweder gibt das gar nicht oder aber es ist nicht schädlich.“ - Der Mann von der Wissenschafts-Redaktion der ARD machte ein bedenkliches Gesicht: Er wusste um die Gefahren des Herbizids. Aber der aus der Wirtschafts-Redaktion konnte den Chef von Bayer-Leverkusen fließend zitieren: Schließlich gehe es um die Antwort auf die Frage, wie bis zum Jahr 2050 drei Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden könnten. Ja, aber, mochte dieser oder jener denken. Aber Doktor Gniffke, der von den Kollegen hinter seinem Rücken „NVD“ genannt wird (Nichtwisser Vom Dienst) rief in die Runde: „Paperlapapp, Hauptsache satt!“ Einzelne Redakteure steckten demonstrativ den Zeigefinger in den Mund. Andere würgten hinter vorgehaltener Hand. Und wieder ging ein Tag in der Tagesschau-Redaktion seinem wohlverdienten Ende zu.

Programmbeschwerde
Skandal um Glyphosat verschwiegen
 
http://www.tagesschau.de/inland/glyphosat-103.html
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bayer-monsanto-111.html
http://www.tagesschau.de/inland/glyphosat-103.html
 
Sehr geehrte NDR-Rundfunkräte,
 
das „umstrittene“ Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat des US-Pharma-Riesen Monsanto war zwar Thema in einer ganzen Reihe von Sendungen der ARD-aktuell (s. Betreffzeile). Dass Glyphosat im Verdacht steht, Krebs zu verursachen, wurde ebenfalls erwähnt, sogar im Zusammenhang mit der Übernahme von Monsanto durch die deutsche Bayer AG. 
Zwei wesentliche Aspekte allerdings blieben in allen Sendungen außen vor: Dass die deutsche Agrarindustrie jährlich mehr als 6 000 Tonnen Glyphosat zur Herstellung und Bewirtschaftung flächendeckender Monokulturen versprüht und damit eine nationale ökologische Katastrophe anrichtet – und dass das regierungsamtliche Institut für Risikobewertung, BfR, ungeachtet aller Bedenken beträchtliche Anstrengungen unternahm, um den weiteren Gebrauch von Glyphosat aufgrund einer EU-Zulassungsverlängerung zu gewährleisten. 
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, hatte anno 2015 der EU-Kommission ihren Schlussbericht über die Verträglichkeitsuntersuchungen bezüglich Glyphosat vorgelegt: angeblich ohne Verdacht auf krebserregende Wirkungen. Kürzlich allerdings wurde bekannt, dass rund 100 der insgesamt 4 300 Seiten des EFSA-Berichts Textbausteine enthalten, die von Monsanto-Autoren stammen. Der Chemiekonzern fungierte also zumindest teilweise für die EU als Begutachter seines eigenen Produkts.
Quellen u.a.: 
http://www.heute.de/medien-berichten-dass-die-eu-behoerde-efsa-bei-ihrem-glyphosat-bericht-beim-hersteller-abgeschrieben-hat-efsa-bestreitet-das-47958754.html
http://www.lemonde.fr/planete/article/2017/09/16/glyphosate-l-expertise-europeenne-truffee-de-copies-colles-de-documents-de-monsanto_5186522_3244.html
https://www.merkur.de/wirtschaft/skandal-im-glyphosat-streit-eu-behoerde-uebernahm-argumente-von-monsanto-zr-8688054.html 

Eine Untersuchung der europäischen Bürgerinitiative „Stopp Glyphosat“ hat ergeben, dass Monsanto mit allen Mitteln versuchte, ein Glyphosat-Verbot durch die EU zu verhindern und deshalb den genannten, massiven Einfluss auf den Prüfbericht nahm. Quelle: http://bit.ly/2s2nab8 . 
“Die Kapitel im EFSA-Bericht über die bisher veröffentlichten Studien zur Wirkung von Glyphosat auf die menschliche Gesundheit sind quasi Wort für Wort von einem Monsanto-Bericht aus dem Jahre 2012 übernommen“, 
stellte die italienische Tageszeitung „La Stampa“ fest. 
Die Monsanto-Textbausteine, so berichtet der Österreichische Rundfunk, seien nicht unmittelbar von den EFSA-Gutachtern selbst übernommen worden. Vielmehr seien sie in einem Bericht Deutschlands enthalten, das in der Causa Glyphosat Berichterstatter für alle nationalen Regierungen ist. Quelle: http://orf.at/stories/2407060/2407061/
Die europäischen Medien sind voller Beiträge über diesen Skandal, sogar die ZDF-heute-Redaktion berichtete darüber. Falls die publik gemachten Vorwürfe zutreffen, wäre eine weitere Ungeheuerlichkeit offenbar, nämlich dass sich die Regierungsbehörde BfR die Interessen des Chemiekonzerns Bayer/Monsanto zu eigen machte, um damit eine Entscheidung der EU-Kommission zu präjudizieren (Kanzlerin Merkel, CDU, und Landwirtschaftsminister Schmidt, CSU, sind eh für Glyphosat, Umweltministerin Hendriks, SPD, ist allerdings strikt dagegen).
Das Bekanntwerden des Skandals im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahl könnte unabsehbare Konsequenzen haben – das sich aufdrängende Motiv dafür, dass ARD-aktuell kein Wort über die Vorgänge verlor und auch das ARD-Hauptstadtstudio der Geschichte nicht weiter nachging.
In Kalifornien steht Glyphosat seit kurzem auf der Liste verbotener Chemikalien. Schon 2015 hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) erklärt, Glyphosat sei sehr wahrscheinlich verantwortlich für die Entstehung von Krebs. In der deutschen Bevölkerung gibt es schon seit Jahren erhebliche Befürchtungen wegen möglicher Gesundheitsgefahren infolge des flächendeckenden Einsatzes der Chemikalie. Dies hätte die Redaktion ARD-aktuell in Rechnung stellen müssen statt den Skandal schlicht zu übergehen und damit ihre staatsvertragliche Pflicht zu verletzen, nämlich „umfassend über alle wesentlichen Lebensbereiche“ zu informieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrem Gremium, dem NDR-Rundfunkrat, ist mindestens ein Repräsentant der Verbraucherschutz-Organisationen vertreten. Für Sie alle aber, so sollte man meinen, sollte Verbraucherschutz keine quantité négligeable sein, die von ARD-aktuell ignoriert werden darf. 
Die bisherige Erfahrung lehrt uns allerdings, dass Zusammensetzung und Selbstverständnis dieses NDR-Rundfunkrats ihn darin hindern, seinen Auftrag im Sinne der Bevölkerung und gemäß Rundfunkstaatsvertrag wahrzunehmen. Es steht füglich zu erwarten, dass Sie ein weiteres Mal Ihre Unzuständigkeit für nicht gesendete Nachrichten (d.h. Verletzung des Informationsauftrags) vorschützen werden und hinnehmen, dass ARD-aktuell mit seiner Nachrichtenauswahl im Interesse des politischen Machtgefüges und der Konzerne handelt – und sei es um den Preis der Gesundheit der eigenen Bürger.
 
Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer

DAS BUCH ZUR TAGESSCHAU:
http://shop.papyrossa.de/Gellermann-Uli-Klinkhammer-Friedhelm-Braeutigam-Volker-Die-Macht-um-acht