So schnell wie das Münchner Amtsgericht den Wortverbrecher Gellermann – er soll einen Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" beleidigt haben – juristisch verfolgen wollte, so lange brauchte es, um der Berufung gegen das Urteil nachzukommen: Die Berufungsverhandlung soll nun am 21. 11. 2018 um 13.00 Uhr stattfinden. Die Warte- und Reaktionszeit des Gerichtes erklärt sich zumindest auch daraus, dass außer Gellermann, vertreten durch seinen Anwalt, Jan-César Woicke, auch die Münchner Staatsanwaltschaft Berufung gegen das erste Urteil eingelegt hat.

Da die Begründung dieser zweiten interessanten Berufung dem verurteilten Gellermann nicht vorliegt, kann nur spekuliert werden, was denn die Motive der Staatsanwaltschaft für eine Aufhebung des Urteils sein könnten. Will sie eine Sprungrevision vermeiden, den direkten Weg zu einer höheren Instanz? Will sie eine höhere Strafe gegen den Delinquenten erreichen? Rätsel über Rätsel. Aber nach der Verhandlung im November werden alle schlauer sein. Vielleicht sogar die SÜDDEUTSCHE, die diesen Prozess so dringend angestrebt hat.

Mit einem fundamentalen Satz beginnt die Begründung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 15. Juni: Der Angeklagte wurde zwar wegen Beleidigung verurteilt, aber das Urteil ist aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen fehlerhaft und wird deshalb angefochten. Nachdrücklich macht Gellermanns Anwalt darauf aufmerksam, dass sein Mandat, anders als das Gericht behauptet, keineswegs den objektiven Sachverhalt, die angebliche Beleidigung eingeräumt habe. Wie auch, denn Gellermann hat nur zugegeben, dass er in einer polemischen Satire die ihm vorgeworfenen Worte (postfaktisches Arschloch) benutzt hat, die aber nur im Rahmen einer sarkastischen Kritik am Stil der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG einsetzte.

Doch so wie das Gericht dem Angeklagten unterstellt, er habe irgendetwas „eingeräumt“, so muss dem Gericht vorgeworfen werden, dass es mit einem falschen Vorwurf hantiert: Denn es geht fälschlich davon aus, dass sich der inkriminierte Beitrag des Angeklagten auf den SZ-Titel ‚Hätte Putin Trump in der Hand - wegen eines heiklen Videos?‘ bezog. Damit übernimmt das Gericht leider kommentarlos und schlicht den Vorwurf der Anklage, obwohl der Angeklagte sich dahingehend eingelassen hat, sich auf einen Beitrag mit dem Titel ‚Goldene Zeiten‘ bezogen zu haben.

Neben falschen Annahmen hat Gellermanns Anwalt auch echte Leerstellen bemerkt. Denn in der Urteilsbegründung ist keine Feststellung zum Inhalt des inkriminierten Beitrags des Angeklagten zu finden. Statt dessen sieht der Anwalt im Text des Münchner Amtsgerichtes einfach nicht die juristisch erforderliche Abwägung. Deshalb ist das Ergebnis der gerichtlichen Arbeit nicht nachvollziehbar, da es im luftleeren Raum steht. Denn das Amtsgericht lässt vollständig offen, in welchem Kontext die (Beleidigungs-) Begriffe überhaupt gefallen sind.

Nachdem das Gericht nur langsam auf die Berufung des verurteilten Gellermann reagiert hat, war es aber recht schnell bei der Einladung eines neuen Zeugen, des vorgeblich Geschädigten, des Redakteurs der SÜDDEUTSCHEN, Hubert Wetzel. Obwohl Gellermanns Anwalt versichert, dass der Angeklagte seinen Beitrag nicht so verstanden wissen wollte, dass er gesagt habe: Der Geschädigte sei ein Arschloch. Er meint ihn eindeutig so, dass er fragt: Wie gefiele es dem Geschädigten wohl, WENN ihn jemand aufgrund unbewiesener Vorwürfe als Arschloch hinstellen WÜRDE? Und zudem stellt der Jurist fest, dass der Begriff „postfaktisches Arschloch“ ausschließlich in der Schlagzeile des inkriminierten Beitrags erfolgte. Um zu erkennen, um wen es sich bei dem „Arschloch“ handeln könnte, ist es erforderlich, den Beitrag zu lesen. Iniesem Fall ist aber erkennbar, dass der Geschädigte eben gerade kein Arschloch IST, sondern lediglich im Rahmen eines hypothetischen Gedankenexperiments eines sein könnte.

Nachdrücklich weist Gellermanns Anwalt auf den satirischen Gehalt des Artikels in der RATIONALGALERIE hin, der angeblich die strafwürdige Beleidigung enthalten haben soll und erinnert an die Staatsanwaltschaft Mainz, die in der sogenannten „Böhmermann-Affäre“ berücksichtig wissen wollte, dass Böhmermanns Beitrag Bestandteil einer satirischen Fernsehsendung war und ein durchschnittlich informiertes, verständiges Publikum mithin davon ausgehen konnte, dass die dort gesendeten Äußerungen mit Übersteigerungen und Überspitzungen hantiert, die keineswegs ernst gemeint gewesen seien. Rechtsanwalt Woicke moniert außerdem, dass der Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes vom Amtsgericht nicht einmal erwähnt wird. Dass im Schriftsatz des Gerichtes wohl deshalb auch ein Bezug zur PRESSEFREIHEIT gänzlich fehlt. Folgerichtig plädiert Rechtsanwalt Woicke für einen Freispruch seines Mandanten.

Noch hat die SÜDDEUTSCHE Zeitung – deren Redakteur Hubert Wetzel zur Zeit in den USA weilt und deshalb eine Terminverschiebung verursachte – die Chance ihre Klage zurückzuziehen. Und so einer Blamage aus dem Weg zu gehen. Denn schon der erste juristische Schritt des mächtigen Konzerns, der die SÜDDEUTSCHE herausgibt, demaskierte den Verlags-Giganten Dieter Schaub, den Besitzer der SÜDDEUTSCHEN, als jemanden, der seine Meinung nicht mit Argumenten, sondern mit der Justiz durchsetzen will. Ob es im Konzern jemanden gibt, der den Verlag vor diesem Rohrkrepierer bewahren will, wird man am 21. 11. 2018 in München sehen.