Aus dem Sumpf der CDU-Bespitzelungsaffaire in Brandenburg meldet sich, in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", Jörg Schönbohm. Natürlich nicht, um die Spitzelei aufzuklären oder gar um seinen Rücktritt zu verkünden. Der ehemalige Inspekteur des Heeres redet über "Leitkultur". Dass er weder von Kultur noch vom Leiten etwas versteht, ficht ihn nicht an. Immer noch, fast vierzig Jahre nach dem Ereignis, leidet er an den Folgen "der achtundsechziger Kulturrevolution", in deren Ergebnis "Orientierungslosigkeit und Identitätsverlust" das Land beherrschen, das in seinem Kopf als Deutschland imaginiert wird.

"Leistung und Fleiß, Disziplin und Ordnung sind zu belächelten Begriffen verkommen", meint der brandenburgische CDU-Vorsitzende und kommt dann schnell zu seinem Lieblingsthema wenn er behauptet "dass sich der Islam durch die Werte-Dekadenz des Westens nachgerade eingeladen fühlt". Dass muss man übersetzen: Erst zerstören die Achtundsechziger die deutsche Kultur, dann stoßen die Mohammedaner terroristisch nach. So einfach kann die Welt vom Schreibtisch eines Landesministers aus gesehen werden.

Auf der Web-Site seines Ministeriums wird von Schönbohm berichtet, dass er "besonders das literarische Werk Ernst Jüngers" schätze. Da haben wir eine Quelle jener "Leitkultur", die uns der Minister nahe bringen will. Es war der radikale Kriegsverherrlicher Jünger, der den Nazis vorwarf, sie litten unter einem»Mangel an Folgerichtigkeit«, da bei ihnen »der Stoß gegen den Juden … immer viel zu flach angesetzt wird, um wirksam zu sein.« Jünger wandte sich gegen die Assimilation der deutschen Juden, so weit würde Schönbohm nicht gehen, er ist eher dafür, dass die Türken gleich zu Hause bleiben, das erspart uns dann die Lösung der Assimilationsprobleme.

Der CDU-Minister ist für seine Sensibilität berühmt, hatte ihn doch der "Aufstand der Anständigen", die Schröder-Parole nach dem Brandanschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge, unangenehm berührt, sie sei "begleitet von einer Maßlosigkeit, die betroffen macht." Auch deshalb hat er im August 1998 verkündet "Die Zeit der Gastfreundschaft geht zu Ende". Dem schob er die Erkenntnis nach "Deutschland ist kein Einwanderungsland und soll es auch nicht werden" von der inzwischen sogar der Kern seiner Partei abgerückt ist.

Besondere kulturelle Einsichten konnte der Minister gewinnen, als er nach der Entdeckung von neun Babyleichen in Brandenburg verkündete: "Ich glaube, dass die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der wesentlichen Ursachen ist für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft". Leider hat ihn dann keiner gefragt, was die kannibalistische Aktion eines hessischen Penis-Essers für die von der CDU bestimmten Entwicklung der West-Republik bedeuten könnte. Seine Verallgemeinerung wäre sicher erfrischend und originell gewesen.

Wenn so einer von Leitkultur redet, dann muss man sich schnell nach einem guten Exil-Ort umsehen: "Solange beinahe jeder Tabubruch Kunst ist, ... solange Gewaltverherrlichung und öffentliche Unmoral anstandslos mit der Würde des Menschen in Einklang gebracht werden können, so lange wird dieses Volk nicht zu sich finden." Natürlich ist öffentliche Unmoral für ihn nicht der Zusammenhang zwischen Aktienkursen und Entlassungen, auch sieht er in den Bundeswehreinsätzen keine Verherrlichung von Gewalt. Es ist der abgeschlagene Christuskopf in der Berliner Mozartinszenierung, der ihm Schauder des Entsetzens verursachen.

Weil Schönbohm "Disziplin" nur begrüßt, wenn ihm gehorcht wird, weil seine "Leistung" als Minister im wesentlichen in langen Dienstfahrten übers Land besteht, weil sein "Fleiß" hauptsächlich seiner Karriere dient und er "Ordnung" als Unterordnung begreift, muss er zwingend zum Schmock des Monats November 2006 ernannt werden: Keiner war in den vergangenen Wochen verlogener als Schönbohm.

In einer Sache allerdings wollen wir ihm nicht widersprechen: "Ich werde mich als Soldat beisetzen lassen", ließ er jüngst den "RBB" wissen. Bitte schön, bitte gleich.