Sei doch dankbar, hört man schon den Chor der Gutgläubigen, jetzt hat auch der Bundespräsident von den Grenzen der Marktwirtschaft gesprochen. Trotz seiner unerschütterlichen Haltung zur Freiheit hat er auf dem "Führungstreffen Wirtschaft", einer Eliten-Veranstaltung der SÜDDEUTSCHEN, gesagt: "Schwarze Zahlen sind kein Grund, rote Linien zu überschreiten." Er sei, war zu hören "Aus Freiheit ein Freund von Grenzen". Man konnte die Bänker im Berliner Adlon bei Gaucks Rede regelrecht zittern sehen. Nach Steinbrück auch noch Gauck. Die Zahl der Markt-Befreier, die zum Staat zurückkehren, wächst. Ob jetzt wohl der Sozialismus drohe, oder zumindest der alte Sozialdemokratismus? Doch während im Bankettsaal schon der Wackelpudding vor Angst auf den Dessert-Tellern glibberte, begannen die ersten beruhigenden Analysen: Er meint es nicht so, unser Joachim.
Neben den vom Präsidenten kurz gestreiften, aber natürlich nicht ausgeführten "Regeln", die man in der Finanzkrise brauche, sei vor allem die "Überprüfung unserer inneren Überzeugungen, unserer Motive und Haltungen" dringend notwendig. Und wenn denn die innere Überzeugung lang genug geprüft sei, dann sollt doch bitte der "ehrbare Kaufmann" zu Vorschein kommen. Jetzt hätte man gern ein, zwei, drei Beispiel gehört: Ob er den Kaufmann Jakob Fugger gemeint hat, der im Mittelalter die Tiroler Bergknappen bis aufs Blut geschunden und die Kriege des Kaisers finanziert hatte? Oder die ehrbare Krupp-Familie, die in zwei deutschen Kriegen ihre innere Überzeugung prüfen durfte? Vielleicht die ehrenwerten Springers und Bertelsmanns, Kaufleute der Neuzeit, und deren inneren Motive? Wir wissen es nicht. Was wir von Gauck wissen und wiederkennen, ist das Grundmuster: "Ich liebe die Freiheit. Ich bin nicht bereit sie der Angst zu opfern." Freiheit von wem und wofür? Und wer verlangt von ihm ein Opfer? Hinter den Wort-Wolken dann ein Hinweis: Die Gauck-Freiheit geht leider gar nicht, sagt der Mann, wenn "wir der Wirtschaft die Freiheit nehmen."
Und immer wieder dieser salbungsvolle Plural, als hätten wir alle die selben Probleme, Arme und Reiche, gemeinsam durch dick und dünn. Dass es im Ergebnis eher Dick und Doof sind, Schmierende und Angeschmierte, aus denen die Gesellschaft besteht, das kommt dem obersten Pastor der Republik nicht in den Sinn. Doch einmal dann ein schöner Singular: "Ich freue mich auf den Tag, an dem die Banken selbst ein Konzept formulieren", das dann der Finanzmarkt-Regulierung dienen solle. Das wäre tatsächlich singulär. So solitär, wie das Metzgerkonzept zur Regulierung des Kälbermarktes. Und weil der Präsident den Banken nicht alle Grenz-Lasten aufhalsen will, zeigt er schnell noch dem Verbraucher dessen Grenzen auf: "Wie lange greifen Europäer noch zu Jeans für zehn Euro, obwohl sie wissen, dass die Allerärmsten in Asien oder Lateinamerika dafür zahlen?" Dass es die ehrbaren Handelskonzerne sind - von H&M bis KiK - die durch Lohndumping reich geworden sind, was schert es den Bundespräsidenten. Er würde so billiges Zeugs nie kaufen.
Aber wir, die Mehrheit, wir sollen sein billiges Zeugs kaufen, den dünnen Anstrich von Gemeinwohl, den er dem Kapitalismus verpassen will. Wir sollen in den Worthülsen von "Glaubwürdigkeit" und "Verantwortung" die Früchte vom dürren Baum seiner Erkenntnis erblicken: "Verantwortlicher Kapitalismus ist möglich." - Und die Jungfrauengeburt ist die reine Wahrheit.