Wir wissen nicht, ob es ein Rosenmontag war, als Erich Mielke, der Chef des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, diesen ominösen Karnevals-Vorgang auf den Tisch bekam. Aber ein Montag wird es gewesen sein: Auf dem Rückweg von der Schorfheide vielleicht, wo er diesmal weniger Böcke geschossen hatte als sein Vorgesetzter, oder nach einem Auftritt seines Fußballklubs Dynamo, der ein Spiel verloren geben musste, obwohl die Staatssicherheit dem Schiedsrichter vorher gut zugeredet hatte, jedenfalls dürfte Herr Mielke schlechte Laune gehabt haben. Da kam ihm dieser operative Plan auf den Tisch: Die "Gerresheimer Bürgerwehr", so schlug ihm ein Mitarbeiter vor, müsse unterwandert werden. Die "Bürgerwehr" war und ist eine dieser rheinischen Helau-Vereine, meist seit Jahrzehnten von der jeweils örtlichen CDU infiltriert, in der Karnevals-Saison ("Session") zumeist besoffen, an den anderen Tagen des Jahres katholisch.
Gerresheim ist eine relativ beschauliche Vorstadt von Düsseldorf. Strikt getrennt in Obergerresheim, dort wo die "Bürgerwehr" bis heute ihren Sitz hat und Untergerresheim, wo früher eine Glashütte viele Arbeiter beschäftigte. Es war das Jahr 1987 - schon vor einiger Zeit hatte sich die DDR einen Milliarden-Valuta-Kredit ausgerechnet vom CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß vermitteln lassen müssen, die Maschinen in den DDR-Betrieben waren durchweg erneuerungsbedürftig und die mangelhafte Versorgung der DDR-Bürger mit "Gütern des täglichen Bedarfs" drängte auf Änderung, eine Änderung, die wenige Jahre später die Bürger der DDR auch herbeiführten - da könnte dem Chef der Staatssicherheit das "Unten" und "Oben" in Gerresheim aufgestoßen sein. Dachte er, er könne daran was drehen? Das Unten nach oben bringen oder umgekehrt? Oder haben ihm seine Mitarbeiter mit Erfolg erzählen können, dass eine "Bürgerwehr" so etwas wie eine paramilitärische Organisation sei? Wollte einer der Staatssicherheitsleute auch mal eine Westreise machen? Das bleibt im Dunklen. Im Hellen ist jetzt eine Akte des Ministeriums, die von der Unterwanderung des Karnevals-Verein berichtet.
In diesen Jahren verfügte die Staatssicherheit über einen Valuta-Etat von etwa 30 Millionen West-Mark. Glauben wir dem Agent "Hermann" aus der Akte, dann war er einige Male in Düsseldorf, fotografierte eifrig, legte Listen an, warb einen Informanten im Karnevals-Verein und engagierte einen Kameramann, ein Mitglied der Jungen Union, um den Karnevalszug 1988 zu filmen. Dessen Motto "Je öller je döller" (je älter desto verrückter) hätte auch gut auf das Wappen der Staatssicherheit jener Tage gepasst. Etwa ein Jahr lang beschäftigte sich die Staatssicherheit mit diesem Vorgang. Geschätzte Kosten: Zwanzigtausend West-Mark. Gemessen am Valuta-Gesamt-Etat des Ministeriums ein Scherz. Ob die DDR-Bevölkerung in jener Zeit darüber hätte lachen können? Wohl kaum. Sie hätte den Betrag in Bananen umgerechnet. Aber Erich Mielke hatte offensichtlich seinen Spaß.
Das Ministerium für Staatssicherheit nannte sich selbst "Schwert und Schild der Partei". Für Pappnasen waren seine rund 100.000 hauptamtlichen Mitarbeiter zu bedrückend. Seine unendliche Akten-Produktion war bis zum Ende der DDR ein Instrument der Repression, deren vergiftende Wirkung bis ins Heute ragt. Die Qualität dieser Akten zeugt nicht selten von purer Idiotie. Im Falle der Gerresheimer Bürgerwehr notierte der Agent über einen seiner West-Zuarbeiter: "Die Interviews zeugen von Mut und Risiko. Am Karnevalsmontag angetrunkene Passanten anzusprechen, scheint mir nicht ganz risikofrei zu sein". Der tapfere Stasimann scheute offenkundig kein Ungemach. Oder, wie sein Dienstherr einst bemerkte: "Auf der Jagd auf Hirsche hat der am meisten Erfolg, der sich ganz als Hirsch fühlt und benimmt".