Eine schöne Doppelseite bekommt Präsident des Bundesverfassungsgerichtes in der Bildzeitung am Sonntag. Fast platzt dem Hans-Jürgen Papier der Kopf aus der roten Robe, so stolz ist er darauf, dass er mal wieder seine Meinung sagen darf: "Der Sozialstaat muss bezahlbar bleiben, deshalb steht er nach meiner Überzeugung vor einer schwierigen Anpassung.", sagt der Mann, der im Monat 14.000 Euro mit nach Hause nimmt, und der sich um seinen Rente keine Sorgen machen muss. Und er weiß auch: "Die Zunahme der Staatsverschuldung ist eine ernste Gefahr für die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit unserer Demokratie." So ist es mit H. J. Papier: Ein paar Schulden-Milliarden mehr oder weniger für die Sanierung der Banken stören ihn nicht, aber Sozialleistungen sind ihm "eine ernste Gefahr".
Schon vor ein paar Jahren hatte der stramme CSU-Mann Papier, die "verfassungsrechtliche Absicherung" der Rente als "Aberglauben" charakterisiert. Dass er diesen Glaubenskrieg mit dem Bundesverfassungsgericht, das seine Meinung nicht teilte, auf einer Versammlung des privaten "Verbandes der Deutschen Rentenversicherung" äußerte, war kaum ein Zufall. Denn, so der gehobene Richter: "Lobbyismus an sich ist nichts Schlechtes". Diese Seite der Privatisierung des Staates wird von ihm gerne gegen staatliche Vorsorge ausgespielt. Wenn Papier sagt, dass die Zivilgesellschaft gestärkt werden müsse, dann meint er die Entstaatlichung der Kinderbetreuung oder die Pflege älterer Menschen: "Der Staat kann sich nicht zum Vollversicherer für alle privaten und gesellschaftlichen Risiken entwickeln."
Als echten Risikofaktor schätzte Papier auch die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ein, als er sich mit einem Sondervotum gegen das Bundesverfassungsgericht wandte, dass dem Gesetz zu den Lebensgemeinschaften Verfassungskonformität bescheinigte. Flugs dankte ihm das "Zentralkomitee der deutschen Katholiken" für die "argumentativ überzeugende Darstellung des Schutzes von Ehe und Familie." Auch als der Freistaat Bayern das Beratungskonzept zum Schwangerschaftsabbruch juristisch infrage stellen wollte, gab es von Papier reaktionäres Sperrfeuer gegen die Kollegen im Bundesverfassungsgericht: Deren Entscheidung verdiene den Stempel "verfassungswidrig" und einer Frau werde „nichts Ungewöhnliches zugemutet“, wenn sie bei dem „schwerwiegenden, lebenszerstörenden Eingriff eines Schwangerschaftsabbruchs“ ihre Gründe angeben müsse.
Wann immer es um Familie, Heimat oder Nationalstaat geht, steht Hans-Jürgen Papier stramm. Geht es aber um mehr Demokratie, dann glaubt er nicht, "dass der Ausbau plebiszitärer Elemente . . . zur Stärkung des parlamentarischen Systems beitragen würde." So schwierige Fragen wie zum Beispiel die Reform der Rentenversicherung (!) könnten eben nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden. Weil alles so schwierig und das normale Volk dem normalen Leben kaum gewachsen ist, braucht es Richter wie Papier, der gern vor einer "Unternehmensschelte" warnt und auch Renditeziele von 25 Prozent und mehr für vertretbar hält: "Was gesetzlich nicht verboten ist, ist erlaubt". Zur grundgesetzlichen Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist dem obersten Richter des Landes noch nichts eingefallen, wohl aber dazu, dass die "Eigentumsgarantie des Grundgesetzes" nicht bedeute, dass den Rentnern eine bestimmte Höhe ihrer Bezüge garantiert wird.
So werden wir dann noch bis 2010 mit einem Präsidenten des Bundesverfassungsgericht leben müssen, der von der sozialen Wirklichkeit des Landes wenig weiss oder wenig wissen will: "Leider ist die Akzeptanz unseres politisch-demokratischen Systems auch verbunden mit dem individuellen Wohlstand", traut sich Papier der Bildzeitung zu erzählen, als gäbe es Demokratie zum Nulltarif, als sei Arbeitslosigkeit ein Gottesurteil und Kinderarmut Teil seines Demokratieverständnisses. Statt dessen warnt er davor, Unternehmen unter einen "moralischen Rechtfertigungsdruck" zu setzen. Nicht zuletzt wegen einer solchen, amoralischen Kumpanei hat er sich die Ernennung zum Schmock des Monats redlich verdient.