Redaktions-Konferenz bei ARD-aktuell. Dr. Gniffke betritt den Raum: „Oh, wie schön ist Panama“, ruft er den Kollegen zu, die ihn peinlich berührt ansehen. In diesem Buch eines gewissen Janosch, erzählt Gniffke weiter, wäre eine Kiste mit der Aufschrift „Panama“ gefunden worden, daraus hätten die Protagonisten einen Wegweiser gebastelt und wären dann los. Raunt der eine Kollege dem einen zu: „Sei froh das er mal nicht aus seinem Buch über den Journalismus zitiert.“ Wispert der andere: „Wetten, dass der Wegweiser nach Osten weist?“
Und so nimmt denn die Gniffke-Weisung ihren Lauf und aus dem liebenswerten Kinderbuch von Janosch wird die üblich-üble Anti-Putin-Attacke gezimmert. Diesmal aber nicht nur, um die ARD-Russo-Phobie auszuleben, sondern auch zur allgemeinen Vernebelung. Die Geschichte, wie der kleine Tiger und der kleine Bär nach Panama reisen, hat eine Moral: Der Wegweiser führt sie zu ihrem ursprünglichen Zuhause, das reparieren sie und werden glücklich. Gniffkes Wegweiser führt ins journalistische Nirwana, das ist nicht zu reparieren. Und außer Merkel und Schäuble wird keiner glücklich.
Programmbeschwerde:
Unzulängliche Berichterstattung über die Panama-Papiere
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
es war zu erwarten, dass im Zusammenhang mit den ersten Berichten über die geleakten riesigen Datenmengen von Briefkastenfirmen in Panama Probleme auftreten würden, die einer angemessenen Darstellung und Interpretation des Ereignisses auch in den Nachrichten von ARD-aktuell Grenzen setzen. Dass es Schwierigkeiten machen musste, über einen Datensatz von 3 Terabite Umfang innerhalb eines oder zweier Tage halbwegs angemessen und korrekt zu berichten, versteht sich von selbst.
Nach mehr als einer Woche journalistischen Hyperventilierens über zumeist weniger Wichtiges an den Papieren lassen sich jedoch in der Berichterstattung von Tagesschau & Co. strukturelle Mängel feststellen, über die wir hier Beschwerde führen.
Systemtypischerweise nahm ARD-aktuell im Gleichklang mit den anderen MSM den russischen Staatspräsidenten Putin und sein Umfeld unter Verdacht der Steuerflucht und Geldwäsche, obwohl sein Name in den geleakten Papieren gar nicht auftaucht.
Hingegen stellte sich in der Redaktion ARD-aktuell offenkundig niemand die naheliegende Frage, wer ein Interesse hatte haben können, die sog. „Panama-Papers“ speziell der Süddeutschen Zeitung zuzuspielen (die prompt versicherte, sie werde die Dokumente den staatlichen Ermittlungsbehörden nicht zur Verfügung stellen) – und eben nicht der Enthüllungsplattform Wikileaks, wo sie von Anbeginn allgemein zugänglich gewesen wären. Cui bono?
ARD-aktuell unternahm ersichtlich keinen Versuch, Hinweisen nachzugehen, das „Leck“ in Panama sei von US-amerikanischen Diensten organisiert resp. finanziert worden, um die „Kundschaft“ dieser Steueroase aufzuscheuchen und in die Arme der Konkurrenz zu treiben, vorzugsweise des US-Bundesstaates Delaware; der steht nach aktuellem Ranking der Zeitung Neues Deutschland derzeit an der Weltspitze, was die Anzahl der beherbergten Briefkastenfirmen anbelangt, treibt demnach mindestens ebenso üble Hehlerei wie Panama
Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/1007739.nur-platz-fuer-panama.html
Die führende Rolle der USA als Heimat für Steuerhinterzieher und Geldwäscher spielte zwar vor zwei Monaten in der ARD-Sendung Plusminus eine Rolle: „Mit Gründung einer anonymen Firma lassen sich in den USA leicht Steuern hinterziehen. Die Regierung macht das sogar einfach“
Quelle: http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/wdr/steueroase-usa-100.html
nicht jedoch, wie geboten und aus gegebenem Anlass, in den Nachrichten von Tagesschau und Tagesthemen. Wir erinnern zum x-ten Mal an die im NDR-Staatsvertrag festgelegte Aufgabenstellung, der die Gniffke-ARD-aktuell ersichtlich nicht folgt:
§5. Der NDR hat den Rundfunkteilnehmern und Rundfunkteilnehmerinnen einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben.
§8. Der NDR ist in seinem Programm zur Wahrheit verpflichtet. ... Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten.
Zum Bemühen um umfassende und der Wahrheit verpflichtete Information gehört nicht nur, aus den Tagesangeboten der Nachrichtenagenturen Textbausteine zu entnehmen und zu „Nachrichten“ zusammenzustellen. Zum wohlverstandenen Auftrag und eigenständiger Arbeit von ARD-aktuell hätte auch gehört, den Stellenwert der vorliegenden Informationen kenntlich zu machen und weitere Fakten zur Einordnung zu bieten. Dass die „Panama-Papers“ nur ein Schlaglicht auf einen kleinen Sektor des internationalen Schwarzmarkts der Finanzbranche werfen, der in den zurückliegenden zehn Jahren allein den Entwicklungsländern einen Verlust von geschätzt 7,8 Billionen US-Dollar beibrachte
Quelle: http://www.gfintegrity.org/report/illicit-financial-flows-from-developing-countries-2004-2013/
wäre eine dieser vielen Fakten gewesen, die zu geben ARD-aktuell im Verlauf seiner tendenziösen und boulevardesken Berichterstattung über die „Panama-Papers“ unterließ.
ARD-aktuell verzichtet auch in seinem Internet-Auftritt tagesschau.de darauf, einen ähnlich umfassenden Überblick über die „Panama-Papers“ zu geben wie die britische BBC.
Quelle: http://www.bbc.com/news/world-35934836
Der Tagesschaumeldung „Bundesfinanzminister Schäuble will verstärkt gegen Steueroasen vorgehen“
Quelle: http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-13495.html
fehlte dementsprechend jede kritische Distanz. Schäuble wolle „an die Wurzel des Problems“ und die Steueroasen austrocknen, wird im anschließenden Reporterbericht allen Ernstes behauptet, gestützt auf ein paar wichtigtuerische Aussagen, die der Finanzminister zuvor im „Bericht aus Berlin“ gemacht hatte. Kann Wort davon, dass Schäuble im Traum nicht daran denkt, die USA und Großbritannien auf seine „Schwarze Liste“ auszutrocknender Steueroasen zu setzen, obwohl sie die für Deutschland wichtigsten sind und das unbezweifelbar eine Nachricht wert war und ist. Kein Wort davon, wie offensiv deutsche Steuerkriminelle nach Delaware bzw. auf die Kanalinseln gelockt werden. „Ohne Zweifel ist dieser Verschiebebahnhof ein lange bekanntes internationales Problem, unabhängig davon, aus welchen der vielen betroffenen Staaten die Finanzakrobaten kommen.“
Quelle: https://netzpolitik.org/2016/panama-papers-das-problem-ist-nicht-die-art-der-berichterstattung/
Schäubles Zehn-Punkte-Plan zur angeblichen „Austrockung“ der Steuerflucht und Geldwäsche als reine Augenwischerei und Ausdruck von Machtlosigkeit zu berichten, kommt für die regierungskonformistische ARD-aktuell nicht in Betracht. Dass dem Minister nicht einmal gelingt, die Steueroase Deutschland auszutrocknen, dass vielmehr hier seit Jahren eine vereinheitlichte Steuerfahndung verhindert wird und Schäuble auch auf europäischer Ebene auf absehbare Zeit nichts gegen Steuerflucht und Geldwäsche erreichen kann, wird als Nachrichtenthema in diesem TS-Beitrag speziell und von ARD-aktuell generell penetrant ignoriert.
Die Redaktion entzieht sich ihrem Auftrag zu distanzierter und um Objektivität bemühter vollständiger Berichterstattung.
Höflich grüßen
Volker Bräutigam + Friedhelm Klinkhammer