Aber bei jeder Blase ist es so, dass man sie erst erkennt, wenn sie platzt.
Eigentlich hätte man sie die Rürup-Regierung nennen sollen: Kaum ein Vorhaben der Bundesregierung in den Sektoren der Wirtschaft oder des Sozialen, dass nicht von Bert Rürup vorbereitet, begleitet oder kommentiert worden wäre. Seit dem Jahr 2000, die Regierung Schröder hatte gerade Fahrt aufgenommen, war Rürup der Chef der "Wirtschaftsweisen", jener dunklen Gruppe von Regierungsflüsterern, deren Mantra Flexibilisierung hieß oder Lohnabbau oder Zerschlagung des staatlichen Rentenssystems. Denn, so Rürup: Privat geht alles besser.
Wohl deshalb geht der bisher vom Staat bezahlte Professor, natürlich unter Mitnahme seiner erheblichen Rentenansprüche, jetzt zum privaten Finanzoptimierer AWD (Allgemeiner Wirtschaftsdienst). Finanzoptimierer erkennt man daran, dass sie erstmal die eigenen Finanzen optimieren: Durch Scheinselbständigkeit der Handelsvertreter des AWD und durch die Methoden von Drückerkolonnen konnte der Inhaber des AWD, Carsten Maschmeyer, sein Unternehmen nach oben drücken. Als er dann im Vorfeld der Bundestagswahlen 1998 mit einer bundesweiten Anzeige für die Wahl Gerhard Schröders plädierte, war sein Glück gemacht: Er gewann mit Schröder einen persönlichen Freund.
Wie Freunde so sind, stellen sie andere Freunde vor. So der Schröder auf einem Flug nach China dem Maschmeyer den Rürup. Da hatten sich zwei gefunden, die an einer Optimierung ihrer Finanzen interessiert waren. Maschmeyer wollte seine Leistung in China verkaufen und suchte nach neuen deutschen Finanzprodukten. Rürup, dem man wirklich nicht nachsagen kann, er hätte sich als Professor mit Forschung und Lehre beschäftigt, suchte ein neues Betätigungsfeld und eine Steigerung seiner Einkünfte. Erstmal durfte er die Chinesen bei der Entwicklung der Altersvorsorge beraten. Dass Maschmeyer genau dort expandieren wollte, war selbstverständlich Zufall.
Ebenso zufällig ist die ständige Kritik Rürups am staatlichen Rentensystem. Wie sein Kollege Riester wurde er durch eine Rente mit seinem Namen geadelt: Die Rürup-Rente. Ein Produkt, das vom AWD empfohlen wird und von dem Versicherer Swiss Life angeboten wird, der zugleich Hauptaktionär des AWD ist. So geht der Kreislauf der Natur auf höherer Ebene. Nicht fressen und gefressen werden ist angesagt, sondern schmieren und geschmiert werden ist die Maxime bei den Finanz-Tierchen, jenen possierlichen Wesen, die in Brieftaschen anderer ihre Nahrung finden. Dass Rürup sich nicht mehr lange mit einem kargen Professorengehalt begnügen wollte, versteht sich. Sein Stundensatz für Vorträge lag zuletzt bei 15.000 Euro.
Ob Schröder oder Merkel, Rürup war ein unersetzlicher Berater der Kanzler dreier Legislaturperioden. Das verdankt er natürlich seiner tiefen Einsicht in die ökonomischen Vorgänge. Noch im Mai dieses Jahres verkündete der weise Wirtschaftsexperte, wahrscheinlich nach Betrachtung seiner Kristallkugel, das Vollbeschäftigung möglich sei. Von der drohenden Weltfinanzkrise verkündete er nichts, wahrscheinlich war ihm gerade der Kaffeesatz ausgegangen. Als die Krise dann ihre Höhepunkt erreichte, hatte Rürup einen jener seltenen Momente tiefer Einsicht: "Aber bei jeder Blase ist es so, dass man sie erst erkennt, wenn sie platzt." Einem Wechsel Rürups in die Pharma-Industrie stand jetzt nichts mehr entgegen.
Auch weiss Bert Rürup genau, wo die Schuldigen an der Finanzkrise sitzen: In den Medien. Sie hätten Unruhe und Angst unter der Bevölkerung eher geschürt als gedämpft. Deshalb warnt der Weise auch davor, das internationale Finanzsystem zu stark zu regulieren. Denn das gefährde Wachstumschancen. Auch eine "Eintrübung am Arbeitsmarkt" hält er jetzt für möglich, so, als sei Arbeitslosigkeit ein ärgerliches Wetterphänomen. Und dann gelingt ihm ein fundamentaler Satz der höheren Ökonomie: "Eine dynamische Realwirtschaft erfordert ein effizientes Finanzsystem." So effizient wie bisher? Oder so irreal wie immer?
Wer mit seinem geringen Einkommen, seiner Hartz-IV-Apanage, seiner real sinkenden Rente nicht auskommt, kann sich jetzt, wo er bei der Kanzlerin gekündigt hat, an den Finanzoptimierer Rürup wenden. Allerdings sollte er zwei Probleme beachten: Zum einen muss man in der Lage sein, die Stundensätze des weisen Optimierers zu bezahlen. Zum anderen sollte man ihn auf keinen Fall bei Blasenproblemen konsultieren. Wer das berücksichtigt, wird mit dem System Rent-a-Rürup ähnlich glücklich werden, wie zwei Kanzler und die Versicherungsbranche.