Frau Dr. Merkel will sich zur »eigenen Religion bekennen« hat sie auf dem 96. Katholikentag gesagt und das ist ihr gutes, persönliches Recht. Aber leider war sie nicht privat in Saarbrücken, sie hat als Kanzlerin gesprochen und sich mit ihrem Bekenntnis gegen unsere französischen Nachbarn gewandt, die partout keinen Gottesbezug in einer europäischen Verfassung sehen wollen. Da macht Frau Dr. Merkel nicht mit, sie will, dass die Europäer sich zu ihren Wurzeln bekennen, zu ihrer christlichen Herkunft.
Sieht man mal vom aktuellen Schwulenhass und einer latenten Frauenfeindlichkeit der Kirchen, insbesondere der katholischen, ab, sind die Kirchen in Deutschland heute ein Muster an liberaler Friedfertigkeit und sozialer Kompetenz: Caritas und Brot für die Welt, Diakonie und Pflege sind Beweise für ein vorbildliches, gesellschaftliches Engagement, Kirchenchöre und christliche Kaffeekränzchen runden diesen Eindruck wohltuend ab. Merkel kommt sich schlau vor: wer sollte sich schon gegen das aktuelle, in Deutschland praktizierte Christentum wenden, warum sollte diese Mischung aus Wort zum Sonntag und Ökumene nicht auch Teil einer europäischen Verfassung werden?
Gemessen an der langen Geschichte der Christen sind die letzten sechzig weitgehend harmlosen, deutschen Jahre nach 1945 ziemlich kurz. Schon in den wenigen Jahren davor hat man deutsche Pfarrer Panzer segnen sehen, gab es, von wenigen, ehrenhaften Ausnahmen abgesehen, eine nützliche Kooperation der Amtskirchen mit den Nazis. Immerhin hatten die Juden den armen Herrn Jesus ans Kreuz genagelt und zwischen 33 und 45 bekamen sie eben ihre Strafe.
Pogrome in Europa hatten Tradition, beliebt in Polen und Russland, in Spanien wurde mit der Inquisition eine ganze Maschine dafür in Gang gesetzt und auch auf dem Gebiet des späteren Deutschland war alle paar Jahre irgendwo eine lustige, christlich motivierte Judenhatz unterwegs. Ganz besonders viele Opfer gab es, wenn die Evangelischen und die Katholischen sich das Recht auf den richtigen Glauben streitig machten: Um die 10 Millionen Tote hat der 30-Jährige Krieg gekostet, seine Verwüstungen haben die Deutschen zur verspäteten Nation gemacht und ihnen die typische Labilität solcher Nachzügler hinterlassen.
Alles längst Geschichte, an den Haaren herbeigezogen, um das seit langem geläuterte Christentum zu verunglimpfen? Christlicher Fundamentalismus ist aktuell: Von den weißen Suprematisten, den christlichen Milizen in den USA bis zum »wiedergeborenen Christen" George W. Bush, dessen religiöses Sendungsbewußtsein im Nahen Osten die Kreuzzüge wiederbelebt und die historische Blutspur christlicher Intoleranz in die Neuzeit zieht. Da ist es nur selbstverständlich, dass sich der akute Antisemitismus in Polen und Ungarn gern auf alte christliche Postionen beruft.
Das gemäßigte Christentum, das wir heute in Deutschland vorfinden, ist Ergebnis langer laizistischer Kämpfe um Glaubensfreiheit, auch um die Freiheit nichts zu glauben. Weltliche Vernunft, bürgerliche Revolution und Arbeiterbewegung haben uns vom religiösen Muckertum, von christlicher Kontrolle befreit. Und wenn Frau Merkel jetzt dahinter zurück will, dann ist das ein antizivilatorischer Schritt, der, über den europäischen Umweg, konservative Positionen im eigenen Land festigen soll. Und einen solchen Umweg braucht die Dame, denn die deutsche Verfassung, auf die sie vereidigt ist, sieht ausdrücklich keinen Religionsbezug vor.
Der Bundeswehr-Bischof Peter Krug rühmt den Armee-Pfarrer als den »einzigen Libero im System der Bundeswehr.« Gesagt im Zusammenhang mit dem Bundeswehr-Einsatz im Kongo und unter Verweis auf die 20 Militärseelsorger, die zur Zeit die deutsche Armee auf ihren politisch und finanziell kostspieligen Auslandsreisen begleiten. Und so müssen wir Angela Merkel auch als Libera für ein christliches Europa verstehen, ein Europa, das von Afghanistan bis in den Kongo christliche Werte verteidigt und den Heiden das Licht der Erkenntnis bringen wird. Von Aufklärung ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.